Tristan
gegeben. Seit drei Tagen irre ich in diesem Wald umher und weiß nicht, wo ich bin. Ich war mit meinen Jägern unterwegs, einem kapitalen Hirsch auf der Spur, den wir zu Lob und Preis unseres Grafen unbedingt erlegen wollten. Aber das Tier war so schnell, dass nur ich auf seiner Fährte blieb. Doch dann kam ein Unwetter auf, wie ich noch keins erlebt habe. Mein Pferd verlor bei einer Schlucht den Halt, warf mich ab und rannte zwischen Blitz und Donner davon. Mir ist nichts geblieben als ein Bündel halb zerrissener Kleider, die Schuhe und der Gürtel. Nicht einmal ein Messer habe ich mehr bei mir. Eine Zeit lang war ich wohl ohne Sinne, bis mich das Gebrüll eines Bären weckte. Von da an lief ich um mein Leben. Wie viele Meilen ich durch diesen nicht enden wollenden Wald geirrt bin, kann ich nicht sagen. An einer Drachenhöhle kam ich vorbei. Dort stank es nach verbranntem Holz. Schlangen sah ich, die sich um meine Beine winden wollten. Aasvögel begleiteten mich im Flug, in der Hoffnung, dass ich straucheln würde und vor Mattheit nicht mehr aufstehen könnte. Doch nun habe ich euch gefunden - dem Herrn sei Dank, gepriesen sei er auf ewig.«
Die Jäger - fünf waren es insgesamt und vier Jagdknechte - waren tief beeindruckt von Tristans Rede und starrten ihn an. Der Älteste, der gleich an dem feinen Schuhwerk, das der Junge trug, gesehen hatte, dass er vom Hofe kommen musste, fasste sich zuerst und wollte ihn eben nach dem Namen der Grafschaft fragen, von der er stammte, als Tristan ihm zuvorkam.
»Was ich sehe, ist der Mühe wert«, sagte er und erhob sich. Es war tatsächlich ein kapitaler Hirsch, der da vor den Füßen der Männer lag und noch immer, als würde er sein Leben endlich von sich wegstoßen wollen, mit den Hinterläufen kraftlos und zitternd ausschlug. »Ihr habt da ein Tier erlegt, dessen beste Stücke auf die Tafel eines Königs gehören!«
»So ist es«, ergriff einer stolz das Wort, der sich Eardweard nannte und vorgab, das Herz des Hirschs mit seinem Pfeil getroffen zu haben: »Für König Marke sind wir ausgeritten in seine königlichen Wälder und seit zweien Tagen diesem Tier gefolgt, bis ich es erlegte.«
»Wirklich, ein guter Treffer«, bestätigte Tristan und trat nun an das Wild heran. »Nun müsst ihr es noch waidgerecht zerlegen, dann ist euer König doppelt geehrt. Und den Hunden gebt ihr sicherlich von den Innereien.«
»Den Hunden?« Der Anführer erstaunte und blickte sich in der Runde um.
»Ja, wisst ihr das denn nicht?«, sagte Tristan wie beiläufig. »Den Hunden gibt man zuerst, damit sie wild und lauernd bleiben und sich freuen auf die nächste Hätz. Denn ohne Hunde rennt ihr euch nur selbst die Zunge aus dem Hals. >Un hon chien de chasse est plus que meilleur ami du chasseur<, sagt man bei uns am Hofe. Es ist ein altes französisches Sprichwort. Bei den Bourbonen lernt man am besten, wie man ein solches Tier zerlegt. Dort ist, was für Britannier ein Handwerk heißt, eine Kunst.«
»Und diese Kunst beherrschst du?« Eardweard war sichtlich beeindruckt von dem Jungen, als er auch noch so elegant fremde Wörter im Munde führte.
»Aber gewiss doch, würde ich sonst so reden? Gebt mir nur ein hanger, ein taugliches Messer, dann zeig ich es euch.«
Das Zerlegen ~178~ Die Bewunderung
Das Messer, das sie ihm gaben, war ihm zu stumpf. Er ließ sich ein zweites reichen und wetzte die Klingen aneinender, bis ihre Schneiden silbrig glänzten. Dann erst begann er zu schneiden, brach das Tier auf, löste die Deckeab, ließ aber den Kopf des Tieres damit bekleidet. Das Fell legte er ausgebreitet ins Gras wie ein tableau. Nach und nach fielen darauf die Innereien des Tieres, manche erst, nachdem sie von den Jagdknechten unter seiner Anweisung gesäubert worden waren. Zu Milz und Leber, Herz und Hoden - zu jedem Organ wusste er einen Spruch manchmal aus der Bibel, dann wieder aus den Weisheiten alter Völker. Der Spruch »Wer den Hoden verzehrt, ist doppelt geehrt« gefiel Eardweard besonders gut. Er wiederholte ihn mehrmals lachend wie ein Kind.
Tristan schritt währenddessen um das Stück herum, schnitt ins Fleisch, brach die Kochen in den Gelenken, ließ sich gegabelte Äste bringen, auf die er immer paarweise die Fleischstücke aufspießte. Während er dem Hirsch in den Rücken schnitt und die Keulen abtrennte, löste er auch gleich die Sehnen daraus und übergab sie Eardweard zur sorgfältigen Aufbewahrung, denn daraus ließen sich vortrefflich Saiten für
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