Tristan
hörte oft solche schmeichelnden Worte, Zuflüsterungen auch von Mägden und sogar den jungen Damen, die am Hofe verkehrten, obwohl solche Worte ihm gegenüber unschicklich waren, weil er doch, wie er allen erzählt hatte, nur der Sohn eines Kaufmanns war. Deshalb summte er oft vor sich hin, wenn er die leisen Zurufe vernahm, um sich durch den eigenen Gesang die Ohren zu verschließen. Er blickte dann auch immer nur auf den Boden oder die reich geschmückten Kleider der vor ihm Gehenden. Ein Zipfel seines Herzens wurde aber von den Bestätigungen und der heimlichen Bewunderung gewärmt, das war der Teil in seiner Brust, der ganz allein für die Kunst des Spielens und Singens in ihm schlug.
So erstaunte es ihn auch an diesem Morgen auf dem Gang zur Kathedrale nicht, seinen Namen rufen zu hören. Gleich sang er lauter, um bei sich selbst zu bleiben, aber die fremde Stimme, die er vernahm, hatte etwas Flehendes, Bittendes, Verzweifeltes. Als sie ganz nah war, durchfuhr ihn die Erinnerung. Er kannte diese Stimme! Tristan trat aus der Reihe, blieb stehen, ließ das Gefolge an sich vorbeiziehen und blickte sich um. Da sah er unweit von sich, wie sich Soldaten um einen Mann gestellt hatten, der auf der Erde lag. Sie bedrohten ihn mit ihren Lanzen, während der Bedrängte immer noch nach Tristan rief.
Dadurch geriet der ganze Zug ins Stocken. Auch die Barone zögerten, und Marke sah zurück und beobachtete, wie Tristan, unterm Arm sein Instrument, auf die Soldaten zuging. Deren Kreis öffnete sich, man ließ dem Knappen des Königs Zutritt zu dem Geschehen, und Marke, neugierig geworden durch das eigenartige Verhalten des jungen Mannes, folgte ihm und scherte aus der Gruppe der Barone aus, die verwundert miteinander tuschelten. Die beiden Glocken der Kathedrale hatten aufgehört zu schlagen, was sie sonst immer erst taten, wenn der König die Kirche betrat. An diesem Morgen schien alles anders als sonst zu sein.
Als Marke zu Tristan herantrat, stand der schon vor dem Bettler, der noch immer wie ein feindlicher Eindringling von den Lanzen der Wächter nach unten gedrückt wurde. Da er keine Waffen bei sich zu haben schien, befahl Marke, von ihm abzulassen. Die Wachleute traten zurück, einer half dem Mann auf die Beine.
Erst stand Rual in gebückter Haltung da, den Blick noch auf seine Beine gerichtet. Dann hob er langsam den Kopf, sah Marke und Tristan nebeneinander, erkannte seinen Sohn und wusste gleich, dass der andere dessen Onkel war. Er wollte etwas sagen, aber seine Kehle war wie zugeschnürt. Tränen traten ihm in die Augen, und ein Schluchzen stieg in ihm auf.
»Tristan«, flüsterte Rual, und alle Umstehenden verstanden ihn, weil jeder den Atem anzuhalten schien. »Tristan«, sagte Rual noch einmal, noch leiser, weil er ihn erkannt hatte. »Lass dich nicht täuschen von meinem Aussehen. Ich bin es, dein Vater.«
Rual sprach diese Worte mit letzter Kraft aus, dann schwanden ihm die Sinne. Er wäre wie ein Sack zu Boden gefallen, hätte ihn Tristan nicht durch einen Schritt nach vorn aufgefangen. Auch er hatte Rual erkannt, rief nach einer Trage und ordnete an, den Mann sofort in sein, Tristans, Gemach zu bringen.
Noch auf dem Weg dorthin wachte Rual wieder auf, war aber weiterhin zu schwach, um zu sprechen.
»Dein Vater?«, sagte Marke ungläubig an Tristans Seite. »Kann das sein?« Seine Stimme war kaum hörbar.
Tristan nickte nur. Er wagte es nicht, Marke anzublicken. Auch ihm waren Tränen in die Augen getreten, Tränen der Freude, der Verwunderung und der Scham darüber, seinen eigenen Vater, dem er doch alles zu verdanken hatte, die Möglichkeiten zu seinem Können und seiner Kunst, seine Aufrichtigkeit und seinen Stolz - diesen wahrhaftigen Vater abgemagert bis auf die Knochen und in zerschlissener Kleidung vor sich zu sehen.
»Dein Vater?«, sagte Marke noch einmal und schüttelte den Kopf. In seinem Rücken entstand unter den Baronen, die neugierig und mit hämischen Blicken dem kleinen Zug gefolgt waren, ein Getuschel. Da wandte sich Marke zu ihnen um und verlangte von ihnen, wie es die Sitte wollte, die Messe zu besuchen. Er selbst nahm sich heraus, Tristan zu seinem Gemach zu folgen. Ihnen voran wurde der Fremde getragen, der selbst kaum noch wusste, wo er war und was mit ihm geschah.
Der Fremde ~188~ Markes Sorgen
Man legte Rual auf Tristans Bettstatt. Mit einem Mal glaubte er, in jedem seiner Glieder, von den Zehennägeln bis zu den Barthaaren, die Strapazen zu fühlen, denen er
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