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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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welche Absicht dahinter stand. Es ging wohl vor allem darum, dass er selbst darüber nachdenken sollte, was denn geschehen würde, wenn er weiterhin ohne Frau und Kinder verbliebe und Cornwall ohne Erben zurückließe. Die beiden Neffen, die in praesentia die Nutznießer wären, lebten auf ihren Burgen im Süden und Westen Cornwalls und scherten sich keinen Deut um das Wohlergehen des Landes.
    Darüber war Marke beunruhigt. Eine Ehe einzugehen, um die Erbfolge neu zu regeln, konnte er sich kaum vorstellen. Keine der Frauen, die sich ihm andienten, entsprachen seinem Stand. Er hatte Leute ausgesandt, sich nach einem wib für ihn umzusehen, das durch die Heirat seine Macht erweitern könnte. Aber es gab offenbar keine, die seinen Ansprüchen genügte. Deshalb studierte er dieses Buch und wollte mit der Rechtsauslegung seine Sorgen aus seinen Gedanken wischen. Doch die dargelegten Vorschriften von Güterteilung und Vorrechten verwirrten ihn nur noch mehr. Seine Wunschbilder ließen sich in den Urteilen nicht wiederfinden. Lieber zerstreute er sich bis spät in die Nacht beim Vortrag von Gesängen und am Tag bei der Jagd. Er schätzte seine Untertanen, dachte stets an ihr Wohlergehen, aber er brauchte auch ihre Abgaben, um seinen Hof führen und die Zinsen bezahlen zu können, die Irlands König Gurmûn von ihm forderte.
    Um sich gegen dessen Forderungen aufzulehnen, reichte seine Reiterschaft nicht aus. Gurmûn nahm ihm alle paar Jahre die besten Knappen weg, und zudem verlangte der fränkische König von ihm Männer für seine Kreuzzüge. Es war ein Vieles Geben und ein Weniges Nehmen. Um über die spürbaren Verluste nicht zu verzweifeln, schuf er sich Abwechslung. Als dann Tristan an seinen Hof kam, vom Himmel herab wie eine goldene Schneeflocke im Winter, und zunächst die Gebräuche der Jagd veränderte, dann durch sein Harfenspiel und seine Gesänge Zuhörer von überall her anlockte, sodass mit der Zeit auch viele fremde Münzen sich in den Truhen Tintajols sammelten, ging es Marke besser. Er lebte unbeschwerter - und diesen Zustand wollte er bewahren.
    Das Auftauchen des Fremden, den Tristan seinen Vater nannte, war eine Irritation, mit der er nicht gerechnet hatte! Sie trieb ihn aus der Bahn der Gleichmäßigkeit. Das durfte nicht sein!
    Marke schlug das Buch zu und verließ sein Gemach. Es war Abend geworden. Niemand hatte ihn darüber unterrichtet, was genau in den weiteren Stunden geschehen sollte. Um sich seine Unruhe nicht anmerken zu lassen, schritt er gelassen durch die Flure, schickte die Wachen vor Tristans Tür weg und klopfte an, als er sich allein wusste. Es kam keine Antwort, und er wusste selbst, dass dies an ihm gelegen hatte: Sein Klopfen war zu zaghaft gewesen. Er hatte Angst einzutreten, er befürchtete, den Fremden noch immer auf Tristans Bett vorzufinden, er wollte den Geruch, den der Mann verströmt hatte, nicht in seiner Nase haben. Doch er musste dort hinein, in dieses Ungewisse. Gerade wollte er ein zweites Mal gegen die Tür pochen - da öffnete sie sich wie von selbst.
     
    Helen ~ 189 ~ Noch ein Fremder
     
    Eine Magd stand vor ihm, die er bisher noch nicht an seinem Hof gesehen hatte. Sie blickte ihn mit großen Augen an, maß ihn an seiner Kleidung, trat einen Schritt zurück, verbeugte sich und sagte: »Ihr habt mir Angst eingejagt!«
    Obgleich sich ihre Blicke nur kurz getroffen hatten und es der Magd nicht zustand, zuerst zu sprechen, verspürte Marke ein Gefühl der Zuneigung zu der Frau. Es mochte auch an den Bewegungen liegen, mit denen sie auf ihn reagierte: schicklich, sich ihrer Dienstbeflissenheit bewusst und zugleich ohne Unterwürfigkeit.
    »Wer bist du?«, fragte er und machte ihr Zeichen, sich aufzurichten. »Helen.«
    »Was tust du hier?«
    »Ich bin eine der Mägde Eures Knappen Tristan, des Jägers und Sängers an Eurem Hof. Er hat mich zu sich befohlen.«
    »Er hat dich - befohlen?«
    »So ist es, mein Herr.«
    Marke war äußerst verwundert. Die junge Frau hatte ein hübsches Gesicht mit einer geraden Nase. Ihr Blick war ohne Verstellung, das verunsicherte ihn. Wie kam Tristan dazu, sich eine Frau als Magd zu bestellen, ohne dies zuvor mit ihm abzusprechen? Darüber hinaus noch eine Frau, die ganz wunderbar anzuschauen war. Wenn sie tatsächlich eine Magd war mit so augenscheinlichen Qualitäten, dann hieße das doch nur, dass sein Knappe in seiner unmittelbaren Nachbarschaft ein Leben führte, das ihm bisher verborgen geblieben war.
    Die Magd wusste anscheinend

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