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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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den Blick ihres Herrn zu deuten, denn sie sagte direkt heraus: »Ich bin die Frau Eardweards, Eures Jägers, Großneffe einer Eurer vielen Barone. Ihr habt ihm ein kleines Stück Land zum Lehen gegeben, südlich von hier hinter dem zweiten Burggraben. Vielleicht erinnert Ihr Euch daran. Dafür sind wir und meine fünf Kinder Euch immerwährend dankbar. Doch die Einnahmen, die wir daraus erzielen, sind fast gleich mit den Zinsen, die wir Eurem Hof erstatten. So kam es, dass ich Tristan einen guten Dienst erweisen konnte, weil er darum bat, und auch den Meinen. Ihr versteht, und Ihr versteht es sicherlich nicht falsch.«
    Marke stand der Frau gegenüber und wusste kein Wort zu sagen. Natürlich hatte er sofort angenommen, dass Tristan sie für Liebesdienste eingestellt hatte. Kaum zu glauben aber war, dass diese Frau schon fünf Kinder zur Welt gebracht haben sollte. Und dass diesem geltungssüchtigen Eardweard, dem er das Land und das Stück Wald nur überlassen hatte, um ihn möglichst weit entfernt von seinem Hof beschäftigt zu wissen, eine so hübsche Frau zur Seite stand, erstaunte ihn noch mehr. Von Kindern hatte er nichts gewusst. Es passte jedoch zu dem Mann, nie darüber gesprochen zu haben, obwohl Marke schon auf vielen Jagdausflügen neben ihm geritten war.
    »Darf ich jetzt gehen, Herr?«, unterbrach Helen seine Gedanken. »Ich muss noch eine Gürtelschnalle aus der Kammer holen für Tristans Vater. Das ist die Anordnung, die ich erhielt.«
    Marke trat zur Seite und ließ die Frau vorbei. Er schaute ihr nach, wie sie in ihrem langen Kleid über den gefliesten Boden des Flurs eilte. Wie betäubt war er vom Anblick ihrer Gestalt, trat endlich in Tristans Gemach ein und sah am Tisch einen Mann sitzen, den er nie zuvor erblickt zu haben glaubte. Noch ein Fremder, dachte er unwillkürlich. Da kam Tristan aus einer Nische hervor und begrüßte den König mit einer anmutigen Verbeugung.
    »Mein Vater«, sagte er, »Rual mit Namen, ehrenwert wie kein anderer, treuer Verwalter seines Lehens, ein wenig abgemagert von den Strapazen seiner langen Reise, doch gut bei Kräften, kundig in den Schriften und ein unbescholtener Diener der Krone.«
     
    Die Zusammenkunft ~ 190 ~ Ein Geständnis
     
    Es dauerte eine Zeit, bis König Marke sich gefasst hatte. Der Fremde war gleich aufgestanden, als er den Raum betreten hatte, eine stattliche Erscheinung trotz des eingefallenen Gesichts, gekleidet nun in bestes Tuch und vollendet in der Bewegung seiner Verbeugung. Er begrüßte den König mit einer Stimme, die tief, männlich und angenehm war. Tristan stand neben ihm, strahlend, glücklich, jung und voller Leben. Ein schöneres Bild von Vater und Sohn konnte es fast nicht geben. Der Knappe wies gleich darauf hin, dass es in der Zwischenzeit Abend geworden sei, die Barone warteten im Königssaal, und Marke solle vorausgehen.
    Der aber entschied anders. »Es ist dein Vater«, sagte er. »Soll er den Vortritt haben. Er muss sich erklären, nicht wir.«
    »Weise Worte!«, bemerkte Tristan kopfnickend, trat trotzdem voran und wies Rual den Weg. Sie gelangten in den Königssaal, den viele auch »Arthurs Tempel« nannten nach dem legendären König, der so viele Ritter um sich sammelte, die er ausschickte, um nach einem Gefäß zu suchen, das einst das Blut Jesu aufgefangen hatte. Bis in diese Tage glaubte man an diese mcere. Noch immer gab es Reiter, die sich als »Gralsritter« fühlten und behaupteten, von den Auserwählten aus König Arthurs Runde abzustammen. Sie nannten sich wie ihre vermeintlichen Vorfahren Lancelot und Geiwan, Eric und Malagant.
    Auch Tristan war mit diesen Geschichten aufgewachsen. Floräte hatte ihm von dem Tisch erzählt, an dem die Ritter saßen: Kreisrund soll er gewesen sein, in der Mitte ein Stein, über dessen Herkunft niemand etwas wusste. Wenn einer der Ritter etwas Unwahres sagte oder seine Taten übertrieben darstellte, habe dieser Stein geleuchtet. Floräte sagte damals, sie würde ihre Hand ins Feuer legen, dass es so gewesen war. Tristan, als kleiner Junge, lauschte den Worten der Mutter und konnte sich nichts anderes vorstellen als was an Bildern durch ihre Worte in ihm entstand und ihn seitdem nicht mehr verlassen hatte.
    Wenn er auf Tintajol den Königssaal betrat, fühlte er sich immer an die Geschichten seiner Mutter erinnert. Auch dort war in der Mitte ein kreisrunder Tisch, Stühle standen nebeneinander, und unerreichbar für jede Hand war die Mitte. Dort lag ebenfalls ein Stein, kaum

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