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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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größer als eine Faust, mit Spitzen und kristallenen Stäben, die wie Finger aus ihm herausragten. Wenn Licht auf die wie geschliffenen Kanten fiel, schien er zu leuchten, reflektierte aber nur die Strahlen, die er von außen empfing. Von innen heraus konnte er so, wie man es aus der saga des Königs Arthur wusste, nicht leuchten. Ähnlich aber wie in der Legende blieb er immer unberührt. So viel Staub auch manchmal auf dem Tisch und den Stühlen lag, hereingeweht vom Wind, verteilt aus den Kleidern und dicken Mänteln der Barone und Reiter, die sich hier von Zeit zu Zeit versammelten, zeigte der Kristall immer die gleiche luzide Klarheit, als wäre er gerade eben erst aus einem Fels gebrochen worden.
    Auch die Decke des Königssaals hatte Marke im Gedenken an König Arthur gestalten lassen. Sie besaß eine kreisrunde Täfelung und war wie ein Spiegel des Tisches, den sie beschützte. Oft schon hatte Tristan in diesem Saal die Harfe gespielt und gesungen, seit Marke ihm das Amt zugewiesen hatte, die Anwesenden durch seinen Gesang zu unterhalten. Da der junge Mann seine Instrumente und Stimme besser als alle Troubadoure oder Barden, die hier gewesen waren, beherrschte, war ihm der Ort bis in seine Nischen hinein vertraut - und gleichzeitig unheimlich. Es waren schon so viele Stimmen und Melodien darin verklungen, dass sich ihm im Ertönen der eigenen die Kunst, die er ausübte und die vielen »unvergänglich schön« erschien, wie ein bloßes Echo des Vorangegangenen vorkam. Ihm war dann so, als würde die Sonne doppelt scheinen, dem einen, um ihn zu wärmen, dem anderen, um ihn zu beleuchten. Glanz und Wärme hatten zum Gegenpaar Stumpfheit und Kälte, Leben und Erblühen, Tod und Verfall. Die Bewunderung für die Kunst, der flüchtige Applaus, verdeckte diese Gegensätze, und Tristan war sich uneins darin, was er davon halten sollte.
    Als er an diesem Abend zusammen mit seinem Vater und mit König Marke den Saal betrat, war dieser voll von Menschen. Alle am Hof und aus der Umgebung hatten sich versammelt, waren überrascht von der veränderten Erscheinung Ruals und wollten wissen, was es mit diesem Vater von master Tristan auf sich hatte.
    Marke ließ Wein und Met ausschenken, begrüßte den einen oder anderen Baron, stieß auch auf Eardweard, unterließ es jedoch, ihn nach seiner Frau zu fragen. Schließlich begrüßte er die Anwesenden und gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass die Fügung des Schicksals einen suchenden Vater mit seinem verlorenen Sohn zusammengebracht habe. »In unseren Zeiten«, sagte er, »in denen es so oft geschieht, dass wir durch Kriege oder Wetter, durch Verirrungen oder falsche Kenntnis von unseren Lieben getrennt werden, kommt es einem Wunder gleich …«
    »Mein König«, unterbrach ihn an dieser Stelle Rual und trat neben Marke, »verzeiht mir, dass ich in Eure Rede eingreife. Alles, was Ihr sagt, trifft im Allgemeinen zu. Im Besonderen liegt diesmal, wie so oft, der Unterschied. Tristan nennt mich seinen Vater, ich nenne ihn meinen Sohn, und immer sucht der Vater den Sohn und freut sich, ihn wiedergefunden zu haben. Diesmal hingegen ist es anders, und nicht einmal Tristan weiß davon. Doch einmal muss er es erfahren und mit ihm alle Welt: Ich bin nicht sein wahrer Vater, und er ist auch nicht mein wahrer Sohn.«
    Ein Raunen ging durch die Menge der Anwesenden, alle Blicke hefteten sich auf Rual und auf Tristan, der vor Erschrecken bei diesen Worten zusammengefahren war. Rual sah ihn nicht an, sondern fuhr fort: »Solange er es aber will«, sagte er mit fester Stimme, »werde ich ihm weiterhin wie ein Vater sein, und er, auch wenn er es nicht wollte, wird immer mein Sohn bleiben. Neben dieser Wahrheit, die niemand umstoßen kann, gibt es noch eine zweite. Und die besagt, dass Tristan Euer Neffe ist. Ihr, König Marke, seid sein Onkel. Eure Schwester Blancheflur ist seine Mutter, Riwalin, mein Herr und König von Parmenien, ist sein Vater. Rechtmäßig, denn bevor der Tod beide für immer von uns nahm, heirateten sie mit Gottes Segen und voller Würde, wie eine kleine Gemeinde, bislang zum Schweigen verurteilt, jederzeit bezeugen kann. Auch in den Büchern ist es festgehalten, wohl verwahrt auf Conoêl, dessen Marschall ich bin. Wir, meine Frau Floräte und ich, Euer Diener, nahmen zu jener Zeit Tristan als unseren Sohn an, um Morgan, unseren Beherrscher, davon abzubringen, weiterhin Willkür als Recht auszuüben, was des Kindes Tod bedeutet hätte.«
    Da nun die Leute

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