Tristan
untereinander lebhaft zu sprechen begannen, war Tristan gleichzeitig mit Marke vorgetreten, hatte den Mund schon zum Reden geöffnet, als Rual den Arm hob, sich Schweigen erbat, auf Tristan blickte und sagte: »Dir, das weiß ich, bereiten meine Worte Schmerzen. Es ist schwer, einen Vater zu bekommen, den man nicht erlebt hat, und einen zu verlieren, weil er nicht der wahre Vater ist, obwohl er es doch immer war. Das Bild vom Vater, das ich in dir erzeugte, mag, so hoffe ich, für immer bleiben, zugleich aber ist es, wie es mit allen Bildern geschieht, die wir uns machen, im Moment der Erkenntnis verschwunden. - Einem anderen jedoch« - und jetzt blickte Rual König Marke an -»müssen meine confessiones pure Freude bereiten. Marke hat nun die Gewissheit, einen nahen Anverwandten an seiner Seite zu haben, der nicht mehr nur sein Knappe sein kann. Derjenige, der für Euch bisher gejagt und die Instrumente gespielt hat, bekommt eine Stimme von ganz anderem Gewicht, nämlich eine, die auch für Euch sprechen kann, wenn Ihr danach verlangt. Courvenal, sein Lehrer, hat ihm in meinem Auftrag alles beigebracht, was nötig ist, um nach höfischer Sitte zu leben, und so vieles mehr, wie es nur einem Königssohn zusteht. Die Sonne scheint auf alle nieder. Doch nur wenige beleuchtet und wärmt sie zur gleichen Zeit.«
Mit diesen Worten, als hätte er Tristans zweifelnde Gedanken lesen und zerstreuen können, beendete Rual seine Rede, trat zurück in den Kreis der Umstehenden und schwieg.
Marke fühlte sich von diesen Ereignissen tief berührt und ließ sich mit einem Wink an die Dienstleute einen Stuhl bringen. Er musste sich setzen. Tristan stand aufrecht und kämpfte mit sich selbst. Er kämpfte gegen die Tränen, die in ihm aufstiegen, er kämpfte gegen die Wirklichkeit, in der er all die Jahre gelebt hatte und die sich schließlich als Trugbild erwies, das zugleich voller Wahrhaftigkeit war. Dazu bereit, seinen Vater zu umarmen, zögerte er, weil es doch nicht sein Vater war, den er in die Arme nähme. Sein Vater, wenn er Rual weiterhin so nannte, hatte ihn gesucht, wie jeder aufrichtige Mann sein Kind suchen würde, und hatte ihn gefunden, den er nun nicht mehr seinen Sohn nennen durfte. Hinzu kam, dass für Tristan all die Geschichten, die er über Riwalin und Blancheflur gehört hatte, ganz neu zusammenflossen zu einem Strom der Gewissheit, den er von jetzt an gleichsam auf einem Boot befuhr, während er all die zurückliegenden Jahre nur darin herumgeschwommen war, von Ufer zu Ufer getrieben, ohne Halt. Ab heute und weiterhin würde nun alles anders sein. Er war der rechtliche Nachfolger von Riwalin in Parmenien. Er war der Erbe des Landes und der Rächer seines Vaters, seines wirklichen Vaters. Das Schwert musste er nun in die Hand nehmen, nicht mehr die Harfe.
Rual sah ihn an. Tristan blickte ihm in die Augen. Sie waren klar und tapfer, gereinigt durch die Reinheit der Tränen, die sich aus Treue und Sehnsucht darin gesammelt hatten.
Da bat Rual nochmals ums Wort, trat einen Schritt auf König Marke zu und gab ihm einen Ring, den er aus einer verborgenen Tasche seines Gürtels zog, einen dünnen Goldreif mit einem roten Stein.
»Den werdet Ihr wohl erkennen«, sagte er zu Marke. »Den Ring Eurer Schwester konnte ich als Beweis mit mir führen, und keinem Räuber gelang es, ihn zu entdecken. Die goldene Kugel mit dem Zeichen Eurer Königsherrschaft liegt noch in Conoêl. Auf die Kugel müsst Ihr warten, bis Tristan sie Euch zurückgeben wird.«
Marke blieb stumm vor Ergriffenheit. Der Ring war der seiner Schwester. Er selbst hatte ihn ihr geschenkt und dabei ihre schmalen Hände in den seinen gehalten. Noch immer spürte er den leichten Druck, mit dem sie ihm ihre Dankbarkeit und geschwisterliche Liebe gezeigt hatte. Und die Kugel, die er all die zurückliegenden Jahre für gestohlen und auf immer verloren gehalten hatte, in sicherem Gewahrsam zu wissen - das alles erfreute ihn und stürzte ihn zugleich in eine tiefe Trauer. Nun hatte er Gewissheit darüber, wie nah beieinander Liebe und Tod, Leben und Treue, Trauer und Glück lagen. Er umarmte Rual, drückte den ausgezehrten Körper an sich, ließ Tränen rinnen in dessen ergrautes Haar, er umarmte Tristan, drückte auch ihn an sich und verkündigte, nachdem er sich gefasst hatte, dass zum nächsten Mond ein Fest gefeiert werde, um Tristan in seine Rechte zu setzen und ihm das Schwert zu übergeben, das einem Königssohn würdig sei.
Jubel brach aus, als die
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