Tristan
hatte sich vorgenommen, gleich zur obersten Dienstherrin der Burg zu gehen und neue Kleider zu fordern. Sollte sie denn in ihrem schäbigen Rock einem Königssohn gegenübertreten, als sei nichts gewesen? Und kaum war das Zauberwort ausgesprochen, gewährte ihr Brit, wie die Verseherin der Kleiderkammer sich nannte, alles, was sie wünschte. Helen war erstaunt!
Mit doppeltem Rock und einem feinen Oberhemd, das ihren Hals frei ließ, sogar mit einer samtenen Haube und ledernen Schuhen an ihren Füßen betrat sie das Gemach der Knappen, in dem Tristan noch immer sein Lager hatte. Die Vorhänge vor seinem Bett waren zugezogen, während sich die anderen Knappen schon für ihren Dienst fertig machten. Der Herr hat gefeiert, dachte sie.
Brit hatte Helen auf die vielen Neuerungen vorbereitet, die ihnen allen an diesem Tag bevorstünden. Helen konnte sie sich nicht im Einzelnen merken. Als Erstes aber hatte sie ein anderes Morgenessen für »Lordsohn Tristan« bereiten lassen. Speck und Eier waren zugeteilt, kräftiges Brot und Ziegenmilch. O wie ging es ihr gut, denn von allem musste sie kosten!
»Außerdem«, hatte Brit gesagt, »müssen die Kleider ausgetauscht werden. Ich habe sie schon bereitgelegt dort auf dem Stapel. Ein Hemd aus dichtem Tuch und Beinkleider, wie sie auch der König trägt. Es sind sogar die des Königs«, fügte sie flüsternd hinzu, »jene, die er nicht mehr gerne trägt - doch das muss niemand wissen. So schnell können wir keine neuen nähen, da muss sich der junge Herr noch ein wenig gedulden. - Das Zweite ist, dass wir das ganze Lager umziehen müssen in eines der Gemächer neben denen des Königs. Dorthin kommt auch für die nächste Zeit das Lager von Tristans Vater …, den Namen kann ich mir nicht merken. Gleichviel - die beiden werden künftig einen einzigen Raum teilen. In der Mitte soll ein Tisch mit vier Stühlen stehen. Weiß der Himmel, wo wir die hernehmen sollen. Aber wir werden schon etwas finden. Auf dem Tisch soll immer ein Krug mit Wasser sein, zudem Tinte, Schreibzeug und Pergamentseiten. Alle Instrumente Tristans müssen wir in den Raum schaffen, seine Mappen, seine Waffen, die Waschschüsseln, eben alles, was er bis jetzt besaß. Und das soll alles heute geschehen. Kannst du dir das merken?« Helen nickte nur mit dem Kopf.
»Das Wichtigste ist aber«, sagte Brit, die die doppelte Leibesfülle von Helen hatte und schon zu Blancheflurs Zeiten dem König als Magd diente, »das Wichtigste ist, dass du dem jungen Herrn nun anders begegnen wirst. Wenn du ihn siehst, senkst du den Blick, deinen Mund öffnest du nur, wenn er dich etwas fragt, nie kommst du ihm näher als auf ein paar Schritte, du gibst ihm nichts von Hand zu Hand, sondern legst alles ab: auf den Tisch, aufs Bett, auf den Boden. Zwischen euch gibt es keinerlei Berührung, nicht einmal die der Blicke. Ist dir das klar?«
Helen nickte wieder.
»Und was machst du, wenn du ihm zum ersten Mal begegnest?«
»Ich frage ihn, ob er gut geruht hat.« Helen lachte, weil ihr die Frage dumm vorkam.
»Nichts dergleichen wirst du tun!«, fuhr Brit sie an. »Hast du denn nicht zugehört?«
»Ich habe doch auch sonst…«
»Das war einmal so. Jetzt ist es anders. Über Nacht ist alles anders geworden, verstehst du?«
Helen erschrak. Brit hatte sie beinahe angeschrien. Sie senkte den Blick.
»Schau dich an«, sagte Brit. »Du trägst neue Kleider, was dein Mann nicht von sich sagen kann. Du bist nun in den Diensten eines Königssohns. Du wirst bei den Festen anwesend sein, wenn auch im Hintergrund. Er wird mit deiner Hilfe rechnen, wenn er Fragen hat. Und du wirst vielleicht sogar zugegen sein, wenn er sich mit einem Freund oder einer Freundin trifft. Dann darfst du nichts hören und nichts sehen. Du bist da, doch es gibt dich nicht. Hunderte Mägde haben diesen Dienst der Verschwiegenheit vor uns ausgeführt, hast du je von einer gehört? Uns gibt es nicht. Unsere Herren stehen im Licht, wir bleiben im Schatten. Vergiss das nie! Und jetzt an die Arbeit! Es gibt viel zu tun!«
Helen hörte sich das alles an, wusste aber mit den wenigsten Worten etwas anzufangen. Sie bereitete das Frühstück, trug die neuen Kleider ins Gemach des Herrn und beobachtete dabei das verhängte Lager Tristans, hinter dem sich nichts rührte. Nicht einmal ein Atmen oder leises Schnarchen war von dort zu hören. So wartete sie mit der Zubereitung der Eier, die man ihr gegeben hatte.
Es war schon lange Tag, als Tristan durch die Tür den Raum
Weitere Kostenlose Bücher