Tristan
gibt also nur ein einziges Mittel gegen ihn.«
Tristan schwieg. Courvenal, Rual und Thomas blickten ihn an. Riwalins Sohn schien tief in Gedanken. Sie befanden sich in dem Großen Saal. Tristan hatte sich von den anderen abgewandt und ging zu einem Regal mit Büchern. Er zog eines aus einem Stapel heraus, irgendeins, wie den anderen schien, sie achteten gar nicht darauf, sondern nur auf ihren neuen Herrn. Der legte das Buch auf den großen Tisch und rückte eine Öllampe daneben, sodass der Einband beschienen wurde. Rual war der Einzige, der darüber erschrak. Es war das Buch »T«. Tristan musste es aus Riwalins Truhe genommen haben, die jetzt ihm gehörte. »Tristan!«, sagte Rual leise, fast flüsternd.
»Ja, ich«, sagte Tristan. »Ich werde ihn töten. Es gibt in diesem Buch noch einige leere Seiten. Rual, mein Vater, der er nicht mehr ist und doch immer sein wird, weiß davon. Da wir alle nun davon Kenntnis haben, werde ich die nächste leere Seite dieses Buches beschriften. Und dort wird stehen, wie ich Morgan, den Mörder meines Vaters, getötet habe.«
Keiner sprach. Tristan sah auf etwas, das in der Ferne zu liegen schien. Dann lächelte er und wandte sich wieder den anderen zu: »Denkt nicht an hinderlist«, sagte er, »ich bin kein Mörder. Nur im Kampf fällt, wer durch mein Schwert getötet wird. Dafür habe ich einen ritterlichem Eid geschworen. Die Not zu besiegen soll unserer Hände Werk sein.«
»Gut gesprochen«, sagte darauf Rual nach kurzem Zögern. »Aber du hast Morgan noch nie gegenübergestanden. Er ist mehr als eine Elle größer als du, und alles, was er kann, ist rauben und töten. Ich habe gesehen, wie er deinen tapferen Vater mit seinem Schwert traf. Den Schlag führte er mit solcher Wucht aus, dass ihm keiner von uns standgehalten hätte und auch keine Rüstung. Wie willst du diesem Mann begegnen?«
»Mit Tristans Mut und mit dem Recht zur Vergeltung des Unrechts, das er gegen seinen Vater und sein Volk ausgeführt hat. Gott wird ihm dabei helfen.«
Tristan sagte diese Worte voller Entschlossenheit, blickte dabei jedoch keinen der Umstehenden an und schien auch nicht bemerkt zu haben, dass er gerade von sich wie von einer anderen Person gesprochen hatte. Er verbeugte sich beinahe förmlich und verließ den Saal.
Verwundert blieben die drei anderen zurück, bis Rual entschieden sagte: »Wir müssen ihn von seinem Plan abbringen.«
»Das wird uns nicht gelingen.« Courvenal schüttelte nachdenklich den Kopf, um plötzlich mit heiterem Gesicht hinzuzufügen: »Also geschehe, was beschlossen ist. - Ich werde, wenn Ihr erlaubt, noch ein wenig in diesem Saal bleiben. Mir scheint, er hat mir einiges zu erzählen, was ich noch nicht weiß. Und die Nacht ist so lang, wie diese Öllämpchen brennen.«
So gingen auch Thomas und Rual. Courvenal ließ sich von Merla noch einen Krug Wein bringen und schlug das Buch auf, das Tristan auf den Tisch gelegt hatte. Kaum war er mit der Handschrift vertraut, konnte er nicht aufhören, weiter in den Seiten zu blättern. Ruals Schilderung von Riwalins Tod schien ihm so genau, dass er Morgan, den Feind, wie lebendig vor sich sah. Da bekam auch er Angst davor, dass Tristan ihm wie einst sein Vater unterliegen würde.
Weit nach Mitternacht kniete er in seiner Kemenate vor seinem Lager und betete zu Gott. Er flehte ihn flüsternd um Hilfe an, damit Thomas, der ebenfalls in dem Raum schlief, nicht aufwachte. Dabei beschlich ihn die Furcht, dass Gott ihn nicht würde hören können. Dass Tristan Morgan besiegte, war unwahrscheinlich. Die Angst, die in Courvenal deswegen aufstieg, ließ ihn lange nicht schlafen. Hinderlist, hatte Tristan gesagt, wolle er nicht anwenden. Doch insidiae war das Einzige, was helfen könnte. Ein Ausweg musste gefunden werden, auch wenn er unritterlich war. Noch blieben einige Monate Zeit, um einen Plan zu ersinnen. Der Einzige, mit dem er dabei rechnen könnte, war Thomas. Tristan durfte nichts davon erfahren. Alles musste hinter seinem Rücken geschehen.
Dieser Gedanke beruhigte Courvenal.
Die Truhe ~196~ Verfolgung
Seit der Rückkehr von Tristan und Rual war auf Conoêl lange nicht mehr so viel Leben gewesen. Ständig kamen Packpferde an oder wurden nach draußen geführt. Jeden Tag gab es Besprechungen, Thomas führte Listen über Güter, die eintrafen oder abgingen und deren Transport kein Ende nehmen wollte. Täglich meldeten sich Reiter aus fremden Landen, ließen ihre Waffen registrieren, ihre Schilde und
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