Tristan
der Herrschaften fühlen. Vermitteln konnte sie diese Gefühle und Gedanken nicht, aber sie gab Tristan durch eindeutige Zeichen zu verstehen, dass sie das Haus verlassen wolle.
Da erinnerte er sich an den engen Raum nahe der Burgmauer, in dem er sich als Kind versteckt hatte. Dorthin führte er Elbeth, und mit diesem Ort als ihrem neuen Zuhause war sie sogleich einverstanden. Noch am selben Tag begann sie, eine Feuerstelle einzurichten, um ihren Tee zu brauen. Tristan hatte angeordnet, dass sie bis an ihr Lebensende mit allem versorgt werde, was sie benötigte. Als er sah, wie glücklich sie sich fühlte, ließ er sie von nun an allein.
An einem der darauffolgenden Abende bat er Thomas zu sich. Sie saßen sich an einem Tisch im Saal gegenüber. Dass aus dem Knaben, den er einst durch die halbe Welt begleitet hatte, einmal etwas Besonderes werden würde, daran hatte Thomas nie gezweifelt. Seine Feinsinnigkeit war ihm schon als Kind ins Gesicht geschnitten, seine Musikalität sah man sogar darin, wie er seine Hände bewegte, wenn er sprach. An Worten benutzte er auch jetzt nicht zu viele und verweilte doch bei manchen Begriffen, als würde er im Reden über sie nachdenken. Diesmal legte Tristan auf das Wort »Dienst« ein besonderes Gewicht. Treue, Pflicht, Gefolgschaft, humanitas - das lag alles darin, es war nicht nur eine Bezeichnung für die Erfüllung einer gestellten Aufgabe.
»Welchen Dienst meint Ihr?«, fragte Thomas vorsichtig.
»Du wirst ihr das Schreiben beibringen.«
»Wem?«
»Elbeth.«
»Der Magd?« Thomas erschrak.
»Warum nicht? Als wir uns kennenlernten, warst du doch selbst nur ein Knecht, der sich von den Mönchen das Aufkritzeln von ein paar Zahlen abgeschaut hatte. Und jetzt? jetzt verwaltest du ein ganzes Land in den Büchern.«
»Und wie soll ich das machen?« Thomas war ratlos.
»Das musst du selbst herausfinden. Dir wird schon etwas einfallen.«
»In welcher Sprache?«
»Die dir am besten gefällt!«
»Und warum?«
»Damit sie wieder eine Zunge hat und sie Zeugnis ablegen kann, dass ich der bin, der ich bin. Nur durch Elbeths Schrift wird Tristan zu Tristan werden.«
»Mein Herr …«, stotterte Thomas, ihm fehlten die Worte. Tristan musste lächeln. Er stand auf, legte Thomas die Hand auf die Schulter, ging aus dem Saal und sagte: »Du kannst das. Ich glaube an dich.«
Übermut ~202~ Und Selbstschutz
Da ihm nun als Fürst von Parmenien auf Conoêl eigene Räumlichkeiten zustanden, war Tristan an manchen Tagen, wenn alle ausgeritten oder beschäftigt waren, allein. Dann versuchte er, seine Erlebnisse und Gedanken in Versen festzuhalten, was er schon lange nicht mehr getan hatte. Anfangs kam er über ein paar Zeilen nicht hinaus. Doch sie genügten ihm, um daraus einfache Lieder zu machen. Denn nachdem er sich von den Kämpfen um Morgans Burg erholt hatte, griff er auch wieder zur Laute und übte sich im Gesang und im Vortrag. Bisweilen ritt er mit seinen Brüdern Edwin und Ludvik aus, und sie übten gemeinsam, mit Pfeil und Bogen zu schießen und den Speer zu werfen. Von den beiden hörte er außerdem, dass es im Hafen von Conoêl Schenken gab, in denen man vortrefflichen Weibern begegnete, auch solchen aus südlichen Ländern mit brauner Gesichtsfarbe und glühenden Augen. Besonders Ludvik war von einer von ihnen angetan, die Juana hieß. Die müsse Tristan unbedingt einmal kennenlernen. Tristan versprach es und lachte dabei.
Als sie einmal von einem Ausflug in die Wälder nahe der Burg von Varonn nach Conoêl zurückkehrten, warteten zwei Boten auf Tristan und berichteten ihm, dass zwei Siedlungen an der östlichen Grenze von einem Raubritter mit seinen Mannen heimgesucht worden waren. Ein Läufer war ihnen auf den Fersen geblieben - sie würden entlang des Flusses Emerön nach Süden ziehen. Sofort stellte Tristan einen Tross von acht Reitern zusammen und machte sich auf den Weg. Dort, wo der Emerön in die Brens einfloss, trafen sie auf den Läufer, einen vierzehnjährigen Knaben, der zu Fuß unterwegs war und nicht einmal Schuhe trug. Er berichtete Tristan von allem, was er gesehen hatte, beschrieb den Lagerplatz der fremden Ritter und führte den Tross zu einem Felsen, von dem aus sie die Feuer in der Ferne entdecken konnten.
Tristan, noch im Rausch seines Ruhmes, erkannte nicht die Übermacht der Fremden, deren Mannschaft mehr als dreißig Reiter zählte und nach dem Bericht des Läufers gut bewaffnet war. Noch bevor die Sonne aufging, befahl Tristan den
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