Tristan
als hätte er sie geworfen, und zog sein Schwert, um damit erst Darraghs Arm abzuschlagen, der sich gegen ihn erhob, und dann mit einem einzigen Hieb dessen von keinem Helm geschützten Kopf. Er sah, dass auch Morgan zu Boden stürzte - mit auseinandergebrochenem Schädel. Da er nicht wusste, wie das geschehen sein mochte, trat er auf den am Boden Liegenden zu und beugte sich über ihn. Es war ein furchterregender Anblick. Der Kopf war gespalten, das Gesicht unter Blut und zerrissenem Fleisch nicht mehr zu erkennen. Neben dem Schädel lag die Kugel und glänzte golden, als hätte man sie gerade erst poliert. Tristan wollte sie aufheben, da schlüpfte sie schon in seine Hand und zwang ihn dazu, sie in den Beutel zurückzulegen. Jetzt erst hörte Tristan das Geschrei, das um ihn herum entstanden war. Er wandte sich um, sah Courvenal schützend über Elbeth gebeugt und hinter den beiden die Reiter aus den Säcken der Packpferde klettern, um sich mit ihren Schwertern und Dolchen, Schleudern und Stöcken auf Morgans Mannen zu werfen.
Der Sand war längst durch das Stundenglas geronnen, das wie durch ein Wunder unversehrt geblieben war, während der Burgplatz einem Schlachtfeld glich. Die Leute waren schreiend davongelaufen und versteckten sich in ihren Hütten, da schlugen noch Parmeniens und Cornwalls Ritter jedem einzelnen Wachmann, der längst am Boden lag, den Schädel ein.
Courvenal sah eine Zeit lang diesem Racheakt des jungen Königssohns zu, bis er sich die Hände vor die Augen hielt. Nur wenige von Morgans Leuten hatten fliehen können.
Einen halben Monat dauerte es noch, bis Tristan auf der Burg Morgans, die von Stund an nach dem neuen Marschall Burg Michelle genannt wurde, alles Rechtliche neu geregelt hatte. Ein Kloster sollte erbaut werden auf einem Fels, von Benediktinern geführt. Courvenal lehnte es ab, deren Abt zu sein. Er kehrte lieber mit seinem Fürsten siegreich nach Conoêl zurück.
Verwirrende Thesen ~201~ Eine klare Aufgabe
Weit über die Grenzen des Landes hinaus hatte sich die Nachricht von Tristans Heldentaten und der Rache an seinem Vater verbreitet. Es hieß aber auch, der junge König stehe für eine neue Ordnung. Denn als er Elbeth nach Conoêl zurückbrachte wie eine Gerettete, beschämte er damit seine Ziehmutter, die der einstigen Magd eigenmächtig die Zunge hatte herausschneiden lassen, um Tristan vor Unheil zu bewahren. Darüber entstanden auf Conoêl nun Gespräche, ob man Unheil mit Unheil bekämpfen könne. Während sich die einen auf den biblischen Spruch »Auge für Auge und Zahn für Zahn« beriefen und daraus ableiteten, dass Verrat auch mit dem Tode bestraft werden könne, sagten die anderen, zu denen Courvenal und Tristan gehörten, »Auge für Auge« bedeute gerade nicht »Auge für Leben« oder »Verrat für Tod«. Floräte wollte mit diesen Disputen nichts zu tun haben. Sie habe als Mutter zum Wohle ihres Kindes gehandelt, verteidigte sie sich, musste sich aber anhören, dass sie doch gar nicht die Mutter war. - Dann zum Wohle ihres Landes, um ihm den Königssohn zu erhalten! - Wenn aber niemand außer ihr selbst und ihrem Mann gewusst hätte, dass Tristan Riwalins Sohn war, woher hatten sie das Recht genommen, seine wahre Existenz zu verschleiern und jemanden, der Zeugnis hätte ablegen können, nämlich Elbeth, so zu verstümmeln?
Die Verwirrung war groß und wuchs. Rechtsgelehrte aus dem Frankenland und Flamen kamen an den Hof und legten ihre Thesen vor. Sänger und Troubadoure erdachten ineinander verwobene Verse und gegenläufige Melodien, um diese verwickelte Geschichte darzustellen. Sogar die Kinder spielten sie nach: Jemand wurde erstochen und stand von den Toten auf, um seinen Mörder vor Gericht anzuklagen. Da ein Toter nicht sprechen konnte, wurde der Mörder in die Freiheit entlassen, tötete wieder, bis sein Opfer wie Jesus auferstand und ihn anklagte - und so ging es immer weiter. Wen es traf, der Mörder oder der Tote zu sein, erfanden die Kinder, indem sie sich in einen Kreis setzten, ein Wollknäuel hinter ihrem Rücken weitergaben und jemand, der mit verbundenen Augen in der Mitte stand, plötzlich den Arm hob. Wer dann das Knäuel vorzeigte, musste aufstehen und so tun, als würde er tot umfallen.
Auch Elbeth sah die Spiele der Kinder. Tristan hatte ihr nach der Rückkehr einen Raum im Hauptgebäude der Burg zuteilen lassen. Sie blieb dort nur wenige Nächte. Sie wollte nicht in Florätes Nähe sein und sich auch nicht mehr als eine Magd
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