Tristan
unsere Söhne. Sie wagen ihr Leben für unser Volk, und unser König wird uns nur noch schöne Lieder singen - von seinen Träumen.«
Ruhige Zeiten ~203~ Die Künste
Floräte konnte Tristan nicht mehr wie früher ihren Sohn nennen, umso mehr bangte sie um Edwin und Ludvik. Wegen immer wieder aufflackernder kleiner Kämpfe mit Morgans zerstreuten Gefolgsleuten sah sie täglich Verwundete und auch Tote, die auf die Burg gebracht wurden. Bis in den Winter hinein ging dieses unruhige Treiben, dann nahmen die Überfälle ab, und die Lage festigte sich.
Seit sich alles zu beruhigen begann, verfolgte Tristan das Geschehen um sich herum mit wachsender Gelassenheit. Indem seine Brüder nun die Reiter anführten, blieb ihm immer mehr Zeit, sich dem zu widmen, wovon Floräte so abfällig gesprochen hatte. Er entsann sich der vielen Instrumente, die er von der Reise mitgebracht hatte, vervollständigte seine Kunst im Musizieren, hatte wieder mit dem Studium der Schriften begonnen und leistete sich, da Parmenien nunmehr über ausreichende Zahlungsmittel verfügte, die Anschaffung neuerer Bücher aus den Scriptorien umliegender Fürstentümer.
Thomas und Abt Curtius halfen ihm, die Bestände der Bibliothek im Großen Saal neu zu ordnen und zu unterscheiden, was von christlichem und was von weltlichem Interesse war, was Gott diente oder lediglich der Bildung der Menschen. Courvenal hatte allerdings zusammen mit Rual darauf bestanden, dass auch die Ausgaben der Gesetzesschriften erneuert wurden. Vier Spiegel ließen sie in Kopien anschaffen, den aus Sachsen, aus Magdeburg, eine französische Version aus Metz und eine aus Britannien, die von einem Mönch Namens Clemens von Oxford stammte.
Mit den Büchern kamen auch die Sänger auf die Burg. Die Winterabende waren lang geworden, und es ging darum, sich auf höfische Art die Zeit zu vertreiben. Ludvik und Edwin ritten häufig hinunter zum Hafen und blieben dort auch über Nacht, sie vergnügten sich lieber auf ihre Weise. Tristan spielte die Laute, manchmal nur für sich, um neue Musikstücke auszuprobieren, manchmal trat er vor allen Hofleuten auf, um sie zu unterhalten.
Sorglose Monate hatten begonnen, an die er sich später einmal voller Wehmut zurückerinnern sollte. Die erfülltesten Abende verbrachte er indessen mit seinem früheren Lehrer Courvenal im Gespräch über neu angekommene Bücher. Zu den bedeutenden Schriften, die während dieser Zeit nach Conoêl gelangten, gehörten die Liedsammlungen des Hartmann von Aue. Kaum hatte er dessen Poeme über die Liebe gelesen, setzte er sie in Töne und brachte sie zur Laute seinen Zuhörern nahe. Er übersetzte sie umgehend ins Flämische und Französische, wodurch sie in der Änderung der Stimmlage einen eigenen Reiz gewannen.
Verserzählungen von Heldentaten, bei denen es immer um Sieg und Rache, Gewinnen und Sterben ging, verabscheute er, auch wenn sie noch so gut in Worte gesetzt waren. Das nannte er »Geschicklichkeit«, oder er sprach vom »künstlichen Aufsetzen der Flammen auf die verkohlten Worte zur rechten Zeit«. Langeweile solle durch Langeweile vertrieben werden mit Rittergeschichten, die nur vom träumerischen Wünschen, aber nie vom wirklichen Leben handelten. Oder sie berichteten von erfundenen Kämpfen, um den Geist »anzuräuchern«. Den Parzival, der ihm in einer bebilderten Abschrift aus der Grafschaft Thüringen geschickt worden war, lobte er. Da könne man sich noch fast »im Denken, das vorauseilt, daran erinnern, wie es gestern gewesen sein mag und morgen wieder anders ähnlich werden wird«.
Solche Kommentare Tristans notierte Courvenal fleißig in eines seiner Narratio-Hefte unter dem lateinischen Merkwort auetoritas.
So manchen Winterabend verbrachte Ruals Familie mit Neffen und Cousinen und befreundeten Fürsten, die zu Besuch waren, im Beisein Tristans damit, sich über Bekleidung und sich wandelnde Bräuche auszutauschen. Durch Alberto di Genua, einen bischöflichen Gesandten aus Oberitalien, wurde auf diese Weise das »Ei überm Feuer« auf Conoêl bekannt und seitdem zum Morgenessen gereicht: in Wasser gekocht, halb roh, halb fest, mit abgeschlagener Spitze und mit grobem Salz und Pfeffer bestreut. Um den Siedepunkt des Eis zu begrenzen, damit es nicht ganz hart wurde, schenkte Alberto seinen Gastgebern ein kleines Stundenglas, das er sabliero nannte. Dass die Zeit darin so schnell durchrinnen konnte, erschien allen, die den fließenden Sand beobachteten, wie ein Wunder, weil er
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