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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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eine vertraute Stimme.
    »Helen?«, fragte er in den Raum hinein, der nur vom Feuer im Kamin beleuchtet war.
    »Wer sonst?«, kam es aus einer der schattigen Nischen zurück.
     
    Wiedersehen ~207~ imaginatio
     
    Es war ein Wiedersehen wie unter lang vermissten Freunden, und indem er die Frau, die eilig auf ihn zutrat, umarmte, vergaß er im Überschwang, welchen Geschlechts die Person war. Helen ging es wohl ebenso, beide erschraken, lösten sich schnell wieder voneinander, Helen hatte einen roten Kopf bekommen und machte eine Verbeugung. »Ich wusste es, Ihr kommt eines Tages zurück«, sagte sie leise.
    »Hast du auf mich gewartet?«
    »Ja, schon, aber nicht hier bei Hofe. Marke ließ mich holen. Es ist auch noch ein anderer da, der für Euch bestellt wurde. Er wartet vor der Tür.«
    »Noch jemand? Holt ihn herein.«
    Helen rannte zur Tür, öffnete sie, klatschte einmal in die Hände und ein junger Mann betrat die Kemenate. Tristan erkannte ihn nicht gleich.
    »Hench«, sagte der Mann, »zu Euren Diensten«, und verbeugte sich.
    Hench, der Pferdeknecht! Tristan musste lachen und begrüßte ihn freudig. Die beiden Gestalten waren vor ihm aufgetaucht wie Geister aus der Vergangenheit. Sie riefen seine Erinnerung zurück und wischten für kurze Zeit das Schreckensbild Morolt aus seinen Gedanken. Er forderte sie auf, sich mit ihm an den Tisch zu setzen, was sie nur widerstrebend taten. Man trank einen Beeher Wein zusammen, und jeder musste erzählen, womit die letzten Jahre für ihn vergangen waren. Helen erwähnte nur ihre Kinder, die größer wurden und immer mehr essen wollten, über Eardweard erzählte sie nichts. Hench war der Stallmeister für die königlichen Pferde geworden und stöhnte ein wenig über die viele Arbeit, die er zu bewältigen hatte. Doch solange dieser nimmersatte eruische Fürst und seine Soldaten auf ihren Booten vor der Küste lagerten, sei alles verändert.
    Was er damit meine, wollte Tristan wissen. Er schaute Helen nach, die sich nur kurz gesetzt hatte und nun dabei war, im hinteren Teil des Raumes Tristans Sachen und Kleider zu ordnen.
    »In den Wäldern lagern etwa hundert Mannen von uns, gut versteckt, damit Morolt nicht misstrauisch wird. In der Dunkelheit sind sie auf Markes Befehl losgezogen.«
    »Und wie viele Soldaten hat Morolt mitgebracht?«
    »Mindestens die doppelte Anzahl.«
    »Warum dann hundert Soldaten auf unserer Seite?«
    »Mehr« - Hench zögerte - »haben wir wohl nicht. Aber sollte Euch bei dem Zweikampf etwas Schreckliches zustoßen, will Marke Euch rächen. An der Küste liegen zahlreiche kleine Boote zwischen den Klippen.«
    »Du meinst, ihr wollt, sollte ich sterben, die Iren angreifen?«
    »So hat Marke entschieden, so lautet sein Befehl.«
    »Dann könnt ihr euch auch selbst töten! Keiner wird überleben.«
    »Ein paar der Eruis aber auch nicht.«
    Tristan winkte ab. Er blickte zur Seite, trank seinen Becher aus und verabschiedete sich von Hench. Er müsse nun schlafen. Noch vor dem Morgengrauen solle man ihn wecken.
    Hench verließ den Raum, Helen schien bereits gegangen zu sein. Trotzdem rief Tristan flüsternd ihren Namen, erhielt aber keine Antwort. Er hätte sie noch so gern um sich gehabt. Die Lämpchen waren bis auf das eine auf dem Tisch alle gelöscht. Es war dunkel um ihn herum und still. Er zog rasch seine Kleider aus und legte sich auf sein Bett, starrte in die Dunkelheit, die sich über ihn senkte und sich ihm auch von den Seiten her wie Schwaden dichten geruchlosen Rauchs zu nähern schien. Er stellte sich vor, dass es etwa so sein müsse, wenn man starb. Wie ein fernes Bild sah er das Gesicht und die Gestalt Morolts vor sich, unberührbar und unfassbar, eine imaginatio, worüber er mit Courvenal schon einige Male disputiert hatte: was man in Wahrheit sehe hinter seinen geschlossenen Augen. Courvenal - wo eigentlich war Courvenal? - hatte behauptet, dass diese Bilder äußerst flüchtig seien, keine Vorstellung, sondern eine Nachstellung von Erlebnissen, ein Vorbild dessen, was man gerne sehen möchte, durchmischt mit den Augeneindrücken. »Unsere inneren Bilder sind Wünsche«, hatte Courvenal gesagt, irgendwann einmal an einem Abend beim Feuer auf ihrer langen Reise, nachdem sie das Zelt aufgebaut hatten. Wie mühsam war es manchmal gewesen, in den steinigen Untergrund einen eisernen Nagel zu schlagen, der das Tuch halten sollte, wenn der Himmel ein Unwetter angekündigt hatte. »Dann schlag den Sporn ein, schlag einfach zu«, hatte

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