Tristan
zurückhalten würde, nahm aber auch die Wut wahr, die allmählich in dem Iren hochstieg. Tristan sah in seiner einfachen Kleidung, den lose an den Waden geschnürten Hosen, halb offenen Schuhen und dem grünen Wams nicht anders als ein Knecht aus, der gerade im Wald Brennholz aufgelesen hatte. Davor konnte Morolt keinen Respekt haben. Vielleicht kam ihm die Szene sogar wie ein Gaukelspiel vor, durch das ihn Marke lächerlich machen oder beleidigen wollte. Er verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln.
jetzt ergriff König Marke das Wort: »Fürst Morolt, was in diesem Saal gesagt wird, ist stets ernst gemeint. Tristan von Parmenien ist mein Neffe und fordert Euch zum Zweikampf heraus, wie es der Kodex unter unseren Ländern erlaubt. Verliert Ihr den Kampf, erlöschen alle Eure jetzigen und zukünftigen Forderungen, von denen Ihr aber auch dadurch zurücktreten könnt, dass Ihr mit der nächsten Flut nach Irland zurückkehrt. Die Entscheidung liegt bei Euch.«
Nach dieser Rede entstand Unruhe unter den anwesenden Familien der Barone und Lords. Es war ein leises Gemurmel. »Schlagt Morolt den Kopf ab«, wagte jemand zu sagen, »Vivat Tristan« ein anderer. Mit den Stimmen wuchs die Hoffnung, jede der Familien könnte ihr Kind vor der Versklavung retten, vielen war Tristan bereits bekannt, oder sie hatten davon gehört, dass er ein mutiger Kämpfer war. Und nun hatte sich auch noch ihr König hinter ihn gestellt - das machte ihnen Hoffnung. Der applausus wurde schließlich so laut, dass ihn Morolt kaum zu ertragen schien. Er nahm die Androhung des Kampfes noch immer nicht ernst, sondern sah alles als Ränke an, um die Auslieferung der Knaben hinauszuzögern. Schließlich hob er den Arm. Im Saal herrschte sofort völlige Stille.
»Wir werden kämpfen«, sagte er ruhig. »Die jungen Knappen, die ich in mein Königreich mitnehmen werde, bleiben bis zur Entscheidung in meinem Gewahrsam. Dafür dürft Ihr entscheiden«, wandte er sich an Marke und blickte nur ihn an, »wann und wo der Kampf stattfindet. Je früher, desto besser. In drei Tagen muss es geschehen sein. Der Ort ist mir einerlei, an dem ich diesem Niemand mein Schwert in die Brust stoße. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.« Er wandte sich um, erteilte auf Eruisch Befehle an seine Soldaten. Unter Flehen und Gejammer der Eltern wurden die Kinder abgeführt, und Morolt verließ den Saal.
Tristan zog sich zur gleichen Zeit zurück, überließ es Marke, die Barone und Lords zu beruhigen. »Golsh«, sagte er und zog den Knappen dicht an sich heran, »reite Courvenal entgegen, der sich noch auf dem Weg hierher befindet, und berichte ihm alles. Finde zudem einen Ort für den Kampf, der nur einen Ausgang hat.«
»Was meint Ihr damit, Herr?« Golsh war verwirrt.
»Ich weiß es selbst nicht«, sagte Tristan. »Frag Courvenal.«
Belauerte Pferde ~206~ Isle of Shank
Schon auf der Überfahrt nach Britannien ahnte Courvenal, dass sich für ihn und Tristan, obwohl er nicht mehr sein Schützling war, von nun an das Leben gründlich ändern würde. Es gab keine dunklen Wolken, die dies prophezeiten, keine Meeresungeheuer, die Bedrohliches ankündigten. Courvenal wusste von den Mären und Voraussagen dunkler Mächte durch die Natur oder Menschen, die sich dazu berufen fühlten, Zeichen zu deuten. Doch zum Glück war ihm auf dem Weg zum Boot und auch dort unter der Mannschaft weder ein altes Weib mit Weissagungen noch ein ungewöhnliches Verhalten unter den Mitgliedern der Besatzung aufgefallen. Außerdem war die Überfahrt bei sonnigern Wetter und guten Winden äußerst ruhig verlaufen. Courvenal hatte sich viele Stunden lang in seine Lieblingslektüre, die Schriften des Plato, vertiefen können, und als sie an der englischen Küste gelandet waren, schickte er Tristan mit gutem Gewissen voraus nach Tintajol, um sich dann um die Verladung all der vielen Dinge auf die Packpferde zu kümmern, die Tristan aufs Boot hatte bringen lassen.
Zehn schwer beladene Pferde waren es insgesamt, die schließlich am Ufer standen. Wozu brauchte Tristan all die Güter, die Rüstungen und Waffen, die Kleider und die nichtigen Dinge, angefangen von dem Hocker, auf dem er so gerne saß, bis zu seinem anscheinend unzerbrechlichen Glas aus der Werkstatt aus Colonia? Courvenal legte sein Buch in die Ledertasche zu den Schreibutensilien. Tristan war doch nur unterwegs, um seinem Oheim zur Seite zu stehen. Wozu brauchte er die vielen Utensilien? Wollte er für immer auf Tintajol bleiben?
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