Tristan
auf ihr Lager gelangt waren, würde für immer ein Geheimnis bleiben. Sie waren »zur Ruhe gekommen« - doch keiner der Mönche hatte ihnen jemals etwas darüber gesagt. - Und jetzt sollte plötzlich die Sonne scheinen? Courvenal wagte sich aus seinem Versteck unter der Plane hervor. Mit Schmerzen in allen Gliedern stand er auf, hielt sich die Hand vor die Augen und blinzelte. Er war sich nicht sicher.
»Die Magd ist immer noch bei Tristan?«, fragte er leise in Erinnerung der Worte des Schiffsführers.
»Muss so sein«, war die Antwort. »Niemand hat sie hier oben gesehen.«
»Gibt es etwas Heißes zu trinken?« Courvenal spürte, wie die Kräfte in ihn zurückkehrten und wartete die Antwort nicht ab. Noch unsicher auf den Beinen tastete er sich vorwärts zur Luke mittschiffs, durch die er Tristans Kammer erreichen konnte. Nur aus den Augenwinkeln nahm er das Meer wahr mit sich gleichmäßig hebenden Wogen, und der Wind blies beständig in das Segel.
»Lass mir das heiße Wasser nach unten bringen, mit einer guten Portion Minze!«, rief er dem Kapitän nach, während er den Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter setzte.
Eine Nacht ~216~ und ein Tag
Courvenal sah, kaum hatte er das schwere Tuch des Vorhangs beiseitegeschoben, ein Bild vor sich, das er in seinem Leben nicht vergessen würde: Im flackernden Widerschein eines Öllämpchens lagen Tristan und die Magd Helen dicht nebeneinander auf dem Lager. Tristan auf dem Rücken, den Kopf in den Nacken gelegt, Helen gekrümmt wie ein Kind, mit den Händen auf Tristans Brust. Beide waren bekleidet. Den engen Raum erfüllte der beißende, bittere Geruch aus Tristans Wunde, doch die beiden schienen zu schlafen, tief und wie miteinander verbunden, als wären sie von den Ausdünstungen betäubt.
Courvenal hielt sich unwillkürlich die Nase zu. Mit der freien Hand rüttelte er an Helens Schulter. Die Magd erwachte, sah Courvenal an, schloss die Augen, murmelte etwas, was er nicht verstand, und schlief gleich wieder ein.
Daraufhin orderte Courvenal zwei Knappen. »Bringt die Magd an Deck!«, befahl er. Als dies gegen ihren Willen, aber fast ohne Gegenwehr geschehen und er allein mit Tristan war, setzte er sich auf das Lager und weckte ihn auf. Er musste ihn mehrmals stoßen, und erst als er das verletzte Bein leicht berührte, war Tristan ganz wach.
»Ist Irland nah?«, fragte er.
»Noch eine Nacht und einen Tag.«
»Dann lass Tristan bis dahin in Ruhe schlafen. Er wird es dir später einmal vergelten. Eine Schwinge voller Münzen. Glaub daran. Das Glauben hast du gelernt. Bring Tristan Helen zurück. Ihre Wärme tut ihm gut. Schon jetzt beginnt eine andere Zeit. Niemand weiß, wo er ist und bald sein wird. Gott ist im Jenseits. Das erreichen wir nie. Irland ist nah. Das ist gut. Macht das Beiboot fertig, auf dem ihr mich aussetzen sollt.«
Tristan schloss die Augen. Einer der Knappen kam mit einem Krug voll Tee. Courvenal saß noch eine Weile am Lager seines Schülers, sann über dessen Worte nach und wiederholte sie innerlich, um sie in sein Buch aufzunehmen, das er schon so lange nicht mehr geführt hatte. Er ging von Tristans Lager fort ohne das Gefühl, seinen Schützling zu verlassen: voller Gedanken, aber auch voller Hoffnung. Er erteilte kurz den Befehl, dass Helen, nachdem sie sich durch eine ausreichende Mahlzeit gestärkt hätte, wieder zu Sir Tristan zurückkehren solle. Bis zum Erreichen der Küste Irlands sei jede Störung untersagt.
Nach diesen Anordnungen bestellte sich auch Courvenal ein Essen. Es bestand aus Hammel, Hafergrütze und einem Krug Met. Bis zum Erreichen der eruischen Küste zog er sich auf seinen Schlafplatz zurück, ließ ihn ein wenig auspolstern mit Matten und Stroh und verbrachte die Nacht und den halben heraufkommenden Tag in völliger Ruhe. Als der Schiffsführer ihn das zweite Mal an der Schulter rüttelte, war die Sonne schon untergegangen.
»Wir haben das Segel eingezogen«, sagte der Mann.
»Und jetzt?« Courvenal blickte ihn ratlos an.
»Jetzt müsst Ihr entscheiden.«
»Sir Tristan?«
»Er ist nicht allein.«
»Die Magd?« Courvenal verspürte, wie er sich plötzlich gegen die Anwesenheit dieser Frau wehrte, auch wenn sie Tristan ein paar letzte schöne Stunden hatte ermöglichen können. Andererseits war er froh gewesen, dass sie ihm die Pflicht abgenommen hatte, bei seinem Herrn zu bleiben, den Gestank zu ertragen, die Wunde blühen zu sehen, wann immer der Verband gewechselt wurde. Zugleich fühlte er
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