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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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diesem Seegang. All dies Tun war so widersinnig, so erschien es Courvenal. Er spürte, wie müde er war, wie er sich auflehnte gegen diesen Zustand. Er hockte sich unter eine Plane, hörte die Wellen gegen den Bug schlagen und kehrte zurück in seiner Erinnerung zu den Tagen und Nächten, als er und Tristan gefangen gehalten wurden auf dem Schiff der Norweger. Papyrusblätter sah er vor Augen, wie sie sich im Wasser auflösten, sogar die Schrift, die er mit einem Dolch in den Stein ritzte, verschwamm. Er wollte die Buchstaben retten, die vor ihm hertrieben - da wachte er auf.
    Ein Traum, dachte er, nur ein Traum! Er hastete unter Deck, fand Tristan zitternd im Schlaf, umgeben von seinen furchtbaren Ausdünstungen, ging wieder nach oben und weckte Helen. »Tu etwas«, sagte er, »es ist gerade Tag geworden, er leidet, hilf ihm.«
    Helen sah Courvenal über sich und auch seinen Mund, der redete, ohne dass sie etwas verstand. Er redete Lateinisch, aber immer wieder fiel der Name Tristan. Mit diesem Namen im Ohr kam sie allmählich zur Besinnung. Sie stand auf, spürte Schwindel, es würgte sie, und sie musste sich übergeben. Courvenal hielt Helen fest, während sie sich noch den Mund an der Schürze abwischte. Hastig führte er sie übers Deck. Sie fühlte sich hundeelend.
    »Das geht vorbei«, sagte er auf Britannisch, »du darfst nur nicht aufs Wasser schauen. Wenn du mit Tristan sprichst, musst du beruhigend auf ihn einreden. Die Wunde schmerzt. Er fiebert. Etwas anderes als Schlaf hilft ihm nicht. Niemand weiß, warum wir nach Irland fahren. Dort schneidet man uns die Zungen heraus, oder man schlägt uns die Köpfe ab. Falls sie uns zu fassen bekommen. Falls! Du musst Tristan fragen, was wir dort sollen, wieso Marke diesen unsinnigen Befehl gegeben hat. Dir wird er es zuflüstern, sein Geheimnis. Nicht einmal mir gibt er es preis. Komm jetzt!« So zerrte er die Magd hinter sich her auf dem schwankenden Schiff und die Leiter hinunter bis zur Kammer, in der Tristan lag, zog den Vorhang beiseite und stieß sie durch den niedrigen Eingang wie ein widerspenstiges Tier in seinen Käfig.
    Courvenal wandte sich ab, wollte sich die Hand über die Augen legen. So kannte er sich selbst nicht. Nie zuvor im Leben hatte er jemanden gestoßen, schon gar nicht eine Frau. Eine heftige Welle schlug gegen den Bug und hob das Schiff an. Er musste sich festhalten und zog sich an den Seilen entlang hinauf über die Leiter zurück an Deck. Es hatte zu regnen begonnen, mit dem Wind peitschten nasse Böen über das Boot. Unter einer Plane fand er noch einen freien Platz neben zwei Knappen, die trotz des Unwetters fest schliefen. Die ganze Mannschaft war übermüdet oder auch angesteckt von der Schwäche und Mattheit Tristans. Das Boot, so schien es Courvenal, schlingerte führerlos auf hoher See. Die vorherige Nacht war er wach geblieben aus Sorge um Tristan. Nun verließ auch ihn die Kraft. Er legte sich dicht an den Körper eines der schlafenden Männer in dem Unterschlupf und schloss die Augen. Noch spürte er, wie er am ganzen Leib in der feuchten Kälte zitterte, dann ging das Schlottern der Gliedmaßen in ein Rütteln über, er hörte seinen Namen rufen, blickte auf, fühlte eine Hand an seiner Schulter und sah in das Gesicht des Schiffsführers. »Wacht auf, Herr!«, hörte er ihn sagen. »Das Unwetter ist vorbei. Sir Tristan will Euch sehen. Es geht ihm besser, so gut wie seit Langem nicht mehr.«
    »Wo sind wir?«, stotterte Courvenal.
    »Weit draußen auf dem Meer. Wir haben gute Fahrt gemacht. Die Winde waren heftig, aber uns auch gewogen. Morgen Abend schon könnten wir Irlands Küste sehen.«
    »Wie lange habe ich geschlafen?«
    »Einen Tag und eine Nacht.«
    »Hier?«
    »Da, wo Ihr Euch befindet.«
    »Wo ist die Magd?«
    »Unter Deck, bei Ritter Tristan.«
    So lange hatte er geschlafen?! Courvenal erschrak. Er wusste nicht, wann ihm das zum letzten Mal widerfahren war. Im Kloster hatte er das einmal erlebt nach einem Ausflug mit Herman, im Kloster von Einsiedeln. Jetzt kam es ihm in Erinnerung. Sie waren nicht mehr als fünfzehn oder sechzehn Jahre damals, und es gab einen Anstich des neuen Biers. Nein, nein - erst vierzehn konnte er gewesen sein. Die Mönche hatten ihn und Herman dazu abgestellt, das Bier im Keller zu zapfen und in Krüge zu füllen. Und Herman war es - oder er selbst? -, der auf den Gedanken gekommen war, von jedem Krug zu kosten, ob es den Klosterbrüdern auch gut schmecken würde. Wie sie in dieser Nacht

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