Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
Vom Netzwerk:
einen tiefen Schmerz, dass nicht er es gewesen war, der die letzten Stunden mit dem jungen König verbracht hatte, bevor sie ihn aussetzten und auf Irlands Küste zutreiben ließen - direkt in seinen Tod. Es brach ihm daher fast das Herz, als er an diesem Abend zu Tristan hinab in die Kammer kroch. Auf dem Schiff waren keine Feuer angezündet worden, damit sie nicht entdeckt werden konnten. Nur hier unten beleuchteten ein paar Lämpchen den Weg zwischen den Spanten. Wie überrascht war Courvenal, als er Tristan allein auf seinem Lager fand mit bleichem, eingefallenem Gesicht zwar, doch mit strahlenden Augen voller Zuversicht. Courvenal musste also gar nicht erst danach fragen, wie es ihm gehe, sondern er sagte nur: »Wo ist die Magd?«
    »Von wem sprichst du?« Tristan schien tatsächlich nicht zu wissen, um wen es Courvenal ging. »Von Helen.«
    »Helen?« Tristan richtete sich auf und verzog dabei schmerzhaft das Gesicht, ließ sich gleich wieder auf sein Lager zurückfallen und lachte beinahe, indem er sagte: »Ach, Helena! Die meinst du. Die Wunderschöne. Von der uns die Griechen erzählt haben. Ja, sie war hier. Aber jetzt hat sie sich aufgelöst wie Weihrauch in Luft. Sie duftet noch ein wenig, nur kann ich ihre liebkosenden Worte nicht mehr hören, denn Gerüche gehen nun mal nicht durch die Ohren. Sag mir lieber, ob das Boot gerichtet ist. Ich brauche ein wenig Brot, Wasser, meine Harfe. Mehr will ich nicht. Bring mich weg aus dieser Dunkelheit. Ich möchte die Sterne sehen. Es ist so weit. Wir müssen uns verabschieden. Deshalb seid Ihr doch hier, oder nicht?«
     
    Letzte Umarmung ~ 217 ~ Ewiger Abschied
     
    Kaum war das kleine Boot zu Wasser gelassen, erschien auch schon Tristan an Deck, umarmte noch einmal seinen Freund und Lehrer, schleppte sich mithilfe zweier Knappen an den Bootsrand, stieg, gehalten und gestützt, in das Beiboot, nur ein paar Lampen halfen zur Orientierung. Courvenal sah, wie Tristan auf dem Boot zu liegen kam, das verwundete Bein ausgestreckt, neben sich seine Harfe und einen Korb, in dem ein Lederbeutel mit Wasser und ein in Tuch gewickelter Brotfladen lagen. Es war ein so jämmerlicher Anblick des Alleinseins, dass Courvenal dem Boot, als es sich vom Schiff mit der Strömung entfernte, nur noch den Namen Tristan hinterherrufen konnte. Dann verschwand das Boot in der Dunkelheit. Der Kapitän ließ das Schiffssegel setzen und steuerte halb gegen den Wind in die entgegengesetzte Richtung. Der Rückweg, sagte er zu Courvenal, würde die doppelte Zeit brauchen.
    »Welcher Rückweg?«, sann Courvenal vor sich hin.
    »Der nach Cornwall.«
    Ohne Tristan nach Cornwall zurück? Courvenal konnte sich nicht vorstellen, was er selbst dort noch zu suchen hätte. Er wandte sich an den Schiffsführer: »Könnten wir nicht hier draußen auf See bleiben? Immer im Kreis fahren?«
    »Warum das, mein Herr?«
    »Vielleicht kehrt Tristan zurück … sein Boot.« Er wusste nicht, was er denken sollte. Tränen traten ihm die Augen. Der Abschied von Tristan bewegte ihn zu sehr.
    »Auf dem Meer gibt es keinen Kreis«, sagte daraufhin der Schiffsführer mit aller Sachlichkeit. »Das Wasser hat seine eigenen Gesetze.«
    »O ja, natürlich, ja!« Courvenal war beschämt. Die Strömungen, die Winde - wie konnte er das vergessen! Das Meer war kein Bogen Pergament, auf das man etwas einzeichnen konnte. - Und wo war Helen? - Das ganze Schiff wurde nach ihr durchsucht. Schließlich fand man sie zwischen Spanten im Schiffsbauch nahe des Hecks. Sie wirkte verstört und übermüdet, redete etwas von »Tristans Plan«, begann zu singen, ein Kinderlied: »Geh nur in den Garten, drei werden auf dich warten, die Pflanzen mit den Blüten, nur vor den gift’gen musst dich hüten«, den Rest summte sie vor sich hin. Courvenal ließ ihr heißen Tee bringen, der sie beruhigen sollte. Er fragte sie noch einmal, was »Tristans Plan« bedeuten sollte.
    »Er hat es mir nicht erklärt«, sagte sie schon halb im Schlaf. »Nur so viel: dass niemand an seiner Krankheit stirbt, wenn er sie nicht will. Als er >seine Krankheit< sagte, deutete er auf sich.«
    »Was meinte er damit?«
    »Ich weiß es nicht.«
    »Was weißt du dann?«
    »Dass er nicht sterben wird. - Nie, niemals!«
    Courvenal erschrak. Helen stieß die Worte matt, wie einen Hauch hervor, Worte, die ein Mensch wie sie sonst nicht sagen würde. Zugleich klangen sie voller Überzeugung. Courvenal sah, wie die Magd nach ihrer Rede die Augen schloss. Sie musste völlig

Weitere Kostenlose Bücher