Tristan
durch den Raum zu schweben schien, erblickte sie einen schönen Körper, der zwar geschwächt und abgemagert war, sonst aber nichts von seiner ehemals gewiss wohltuenden Erscheinung eingebüßt hatte. Wie um ihn nicht allein zu lassen, hatte man neben ihn sein Saiteninstrument gelegt, das im schattigen Licht des Stalls fast wie ein Körper erschien, der sich an ihn schmiegte.
Isolde ließ sich ein Lämpchen geben, trat an den Kranken heran und beleuchtete die Stelle seiner Verwundung an der Innenseite des linken Schenkels. Wohl wegen der Schmerzen lag dicht daneben die Hand des Mannes und drückte krampfhaft die Finger in das noch gesunde Fleisch. Bei jeder Bewegung öffnete sich die Wunde, und eine Flüssigkeit trat aus ihr aus. Isolde schreckte zurück und wusste sofort, warum die Leute von »blauem Fieber« sprachen. Das Gift, das die Wunde nicht heilen ließ, aber einen blau schimmernden Saft erzeugte, der an den Wundrändern austrat, stammte aus ihrer Küche, gebraut nach einem Rezept, das ihr von ihrer Mutter überliefert war. Hunderte Male hatte sie es verteilt an die Kämpfer Gurmûns, damit sie es auf ihre Schwerter rieben oder ihre Pfeile in den Sud tauchten. Wessen Blut damit in Berührung kam, begann von innen her auf der Stelle zu verfaulen. Bei dem jungen Norweger, oder woher er auch immer kam, würde es noch ein paar Tage dauern, bis er vollständig vergiftet war. Sie ließ sich einen Krug mit eiskaltem Wasser bringen und schüttete ihn über seinen Kopf aus, damit der Kranke zur Besinnung käme.
Tristan erwachte sogleich. Die Frau, auf die er blickte, trug ein Gewand aus einem dichten, in rote und schwarze Streifen geteilten Stoff, der ihre Gestalt von den Füßen bis zum Hals umhüllte. Aus einem gelb leuchtenden Kragen ragte der unbedeckte Kopf, umgeben von einer lockigen, rötlich schillernden Haarpracht, das Gesicht war weiß geschminkt, die Augen dunkel, der Mund hatte die Farbe von reifen Kirschen. Tristan erschrak und war zugleich wie gebannt. Der Geruch von öligen Kräutern stieg ihm in die Nase - zum ersten Mal seit all den Tagen musste er nicht mehr nur seinen eigenen Gestank wahrnehmen.
»Wer bist du?«, fragte die Frau und sah ihn prüfend an. »Wie heißt du, woher kommst du?«
»Mein Name …«, Tristan ließ den Kopf zurücksinken und antwortete nun auf Eruisch, »mein Name … ist… Tantris.«
Er war selbst überrascht, sich so reden zu hören. Da ihm aber das Falsche so leicht über die Lippen zu kommen schien, log er weiter. »Ich bin der Sohn eines Kaufmanns auf der Fahrt nach Süden, wo man bei schrecklichem Wetter mein Schiff überfiel. Doch eigentlich bin ich ein Sänger. Die Musik, die Lieder, die überlieferten Weisheiten der Alten aus den Ländern, in deren Meeren man nicht nur im Sommer baden kann, sollten zu meinem Leben werden. Doch man hat mich verletzt. Ich muss wohl sterben.« Er schloss die Augen. Sogar dieses Nichts-mehr-sehen-Wollen war eine Unwahrheit.
Isolde erkannte seine List nicht. Sie ließ einen weiteren Krug kalten Wassers bringen, das ihm erneut zur Besinnung verhalf.
»Hör zu, Tantris«, sagte sie, »ich kann dir helfen. Ich werde …«, sie zögerte, »ich werde dir etwas zu trinken geben, das dich belebt. Dann spiel mir und meiner Tochter etwas auf deinem Instrument vor und berichte uns etwas aus deinem Leben, erklär uns deine Gedanken, die du über die Welt hast, und zeig uns, wozu du wieder gesundet fähig sein könntest. Ich werde auch noch andere Vertreter meines Reichs dazuholen …«
»Dann seid Ihr die Königin?« Tristan spielte zwar den Überraschten, spürte aber im Herzen die Aufregung, in die ihn diese Begegnung versetzte.
Isolde antwortete nicht auf diese Frage. Sie erteilte Anweisungen an Leute, die sich wohl auch in dem Stall befanden und die Tristan nicht zu Gesicht bekam, wandte sich ab und verschwand aus seinem Blickfeld. Er musste die Augen schließen und fiel aus Ermattung in tiefen Schlaf. So merkte er nicht, dass er auf einer Bahre über steinige Wege bis hinauf ins Königshaus getragen wurde. In einem kleinen fensterlosen Raum bettete man ihn auf ein mit Strohsäcken ausgelegtes Lager und flößte ihm ein Getränk ein, das Isolde in der Zwischenzeit eigenhändig zubereitet hatte.
Auch Isôt und Brangaene waren dabei anwesend. Die junge Königstochter musste ihre Mutter wieder einmal bewundern, wie sicher sie die unterschiedlichsten Kräuter gemischt hatte und welcher Duft dabei entstand, als sie die Mixtur mit heißem
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