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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Oberteil, trug nur noch ein Hemd, unter dem sich ihre Brüste abbildeten, die seitlich der Rippen herabhingen. Tristan glaubte, eine der Marktfrauen vor sich zu sehen wie in den Zeiten auf Conoêl, als er noch ein kleiner Junge gewesen war und zu den Waschplätzen Zutritt gehabt hatte. Zur gleichen Zeit hörte er auf Eruisch beschwörende Formeln, fühlte, wie seine Schenkel auseinandergedrückt wurden. Plötzlich, so schien es ihm, waren noch andere Hände da. Isolde verschwand, jemand machte sich an seinem Bein zu schaffen, seine Wunde wurde behandelt, wie er es schon so oft erlebt hatte, heißes, nach wilden Kräutern herb duftendes Wasser wurde ihm eingeflößt, er ließ alles mit sich geschehen und fiel in Schlaf.
    Im Fiebertraum sah er schlaffe, alternde Brüste, sah sie zur Seite des Körpers gerutscht bei Frauen, die tot waren, an Leichen auf dem Weg durch Germanien. Dann spürte er, wie sich eine hohle Hand über seine Augen legte, und glaubte für einen Moment, das sei die Hand von Courvenal, die ihn oft vor dem Anblick schrecklicher menschlicher Metzeleien zu bewahren versucht hatte. Ein guter Lehrer muss behüten und den Schüler auf die ganze Welt vorbereiten, indem er ihm zunächst nur Stücke davon zeigt, hatte er Tristan einmal zugeflüstert. Denn du bist selbst nur ein Teil davon, fuhr er fort, wie ein Stück Holz, das einen Bachlauf hinunterschwimmt, die Ufer sieht, niemals aber von einer Brücke herab auf sich selbst schauen kann. Auch die Brücke ist nur wie ein Fluss, der sich quer zum Bach bewegt.
    »Pontus fluvius est«, flüsterte Tristan.
    »Was hat er gesagt?«, hörte er eine Stimme fragen.
    »Die Brücke fließt«, wiederholte er.
    »Er fantasiert!« Die Stimme, die das sagte, kannte er. Doch sie gehörte nicht zu Courvenal. Also unterließ er es, nach ihm zu fragen, erwachte schließlich und sah zwei Frauen an seinem Lager sitzen. Sie waren beide jung und erschienen ihm wunderschön. Sogleich begann er zu lächeln, hob den Kopf und sogar seine Hand, um ihnen durch ein Winken zu verstehen zu geben, wie sehr er sich über ihre Anwesenheit freute. »Wer seid ihr?«, kam es aus seinem Mund.
    »Das ist Isôt«, sagte eine der jungen Frauen und wies auf ihre Nachbarin.
    »Und das ist Brangaene«, sprach die andere, »meine allerliebste Zofe. - Und wer bist du?«
    »Ich bin …« Tristan stockte. Seine Augen schienen sich nach innen zu kehren. Er schluckte die Wahrheit hinunter und stieß wieder die Lüge hervor: »Tantris, Kaufmann und Spielmann aus Norje auf dem Weg nach Venecia, ein halber Leichnam, todkrank.«
    »Nicht doch!«, rief Isôt. »Du bist längst genesen. Meine Mutter hat dich geheilt. Drei Tag und drei Nächte hast du geschlafen. Die Wunde ist geschlossen.«
    Tristan öffnete wieder die Augen, sah sich um. Der Raum, in dem er jetzt lag, hatte unterhalb der Decke Fenster, durch die das Licht brach. Es musste mitten am Tag sein. Er legte die Hand vor die Augen, weil ihn das Licht blendete. »Meine Harfe?«, fragte er leise.
    »Sie liegt neben dir.«
    Er hielt die Augen bedeckt, um den Klang dieser hellen klaren Stimme zu genießen. Die Stimme gehörte der Königintochter, die der Zofe war dunkler und härter. »Komm, wir gehen!«, sagte sie und ihre Worte wurden leiser wie hinter vorgehaltener Hand. »Er braucht noch Ruhe. Schau den flaco an, er ist nur noch Haut und Knochen. Gib ihm einen Monat.«
    Tristan hatte deutlich das Wort »flaco« gehört und hätte dabei fast wieder die Augen geöffnet. »Flaco« war Iberisch. Wo war er? Wieder wollte er nach Courvenal fragen, er war der Einzige, der ihm helfen konnte. Da spürte er, dass sich die beiden Frauen entfernten. Es ging ihm besser, viel besser, auch das konnte er fühlen. Aber er musste achtgeben, sich nicht zu verraten. Wie hatte er sich genannt? Tantris? Und hatte er nicht eben noch mitangehört, wie die Zofe zu ihrer Herrin gesagt hatte: »Geben wir Tantris noch einen Monat der Ruhe!«?
     
    Der erste Monat ~220~ Ein ganzes Jahr
     
    Dieser Monat ging schnell vorbei. Tristans Genesung verlief aber nicht so reibungslos, wie die jungen Frauen es immer wieder beschworen. Das Gift von Morolts Schwertspitze war schon zu tief in den Körper eingedrungen, das Gegengift brauchte lange, bis es zu wirken begann. Die Wunde wollte sich nicht gänzlich schließen. Gleichwohl fühlte sich Tristan gestärkt. Bereitwillig übernahm er die Aufgabe, die man von ihm verlangte. Er unterrichtete die Königstochter im Harfen- und Lautenspiel,

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