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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Wasser und ein wenig Öl aufgoss. Sie gingen gemeinsam zu dem Kranken zurück und sahen zu, mit welcher Gier er - halb noch im Schlaf - trank und schluckte, um danach voller Zufriedenheit auf sein Lager zurückzusinken. Als die Frauen schon glaubten, er würde nun wieder ruhen, öffnete er die Augen, blickte um sich und griff nach seiner Harfe. Wie in Trance begann er zu spielen und zu singen, leise und noch mühsam, als würde er nur seiner eigenen Stimme zuhören. Und doch klang schon dieser Gesang in den Ohren der Frauen voller Liebreiz.
    Währenddessen betraten der herbeigerufene Mönch Benedictus und Hägon, der Druide, den Raum und waren ebenso erstaunt über die Melodik und die sinnliche Kraft, die dieser junge, bleiche, abgezehrte Mann in seine noch verhalten klingende Stimme legen konnte. Es schien, als wolle er immer nur weitersingen, sodass Isolde, die Königin, ihn irgendwann unterbrach und Benedictus aufforderte, sich mit ihm auf Lateinisch zu unterhalten. Benedictus folgte sofort der Anweisung, fragte nach dem Papst und danach, welche Geschehnisse gerade die Stadt Rom beherrschten, woraufhin Tristan, ohne von seinem Instrument aufzublicken, Namen sagte und den Zustand beschrieb, in dem sich der Aufbau der Petruskirche inzwischen befinden müsste. Das alles schilderte er in fehlerfreiem Latein, sodass Benedictus vor Erstaunen den Kopf hin und her wiegte. Noch beim Sprechen wurde Tristan bewusst, dass er der Königin ja gesagt hatte, er sei als Kaufmann gerade auf dem Weg nach Süden. Doch als er merkte, dass sie das Lateinische kaum verstand und wohl nur einen Beweis dafür haben wollte, dass er kein Scharlatan war, redete er weiter.
    Isolde hatte längst genug von dieser Vorführung und gab das Wort an Hägon. Der schwieg zunächst, sah, wie dem jungen Mann langsam vor Müdigkeit der Kopf auf die Brust sank und die Hände von seinem Instrument glitten, bis er in seiner rauen Art hervorstieß: »Was weißt du über den roten Stern?«
    Isolde, die Königin, erschrak, als sie diese laute Frage hörte. »Wie soll er davon wissen?«, platzte sie ärgerlich heraus, denn die Lieder des Fremden, sein Gespräch mit Benedictus hatten ihr schon so gut gefallen, dass sie keine Zweifel mehr an der Lauterkeit von Tantris hatte. Warum also begann jetzt der alte Druide in einem verlassenen Nest herumzustochern?
    »Der rote Stern?« Tristan schlug die Augen auf. Zum ersten Mal nahm er war, wer ihm da gegenüberstand. Er erkannte die Königin wieder an ihrem Gewand. Neben ihr stand eine junge Frau in einem hellgelben Kleid, den Mund leicht geöffnet, mit einem strahlenden, neugierig auf ihn gerichteten Blick, daneben ein Mönch in seiner Kutte, ein Mönch wie alle Mönche, er wollte mit den Augen zurück zu dem Mädchen, musste aber diesen Hünen ansehen, der hinter dem Mönch stand, ein von einem Bart umrandetes Gesicht voller Misstrauen, der hatte die Frage gestellt nach dem roten Stern.
    »Nein, nein!«, stieß er hervor, wollte das Gesicht abwehren, bemerkte aber den gierigen Blick in den Augen des Hünen, weil er wohl eine bejahende Antwort erwartete, und sagte deshalb: »Sieben Jahre hat es gedauert. Dann ist er plötzlich verschwunden, der rote Stern!«
    Isolde, die Königin, konnte sich nicht enthalten, daraufhin in die Hände zu klatschen. Es gab einen Zeugen, der, umgeben nur von Horizont und Himmel, auf den Meeren unterwegs gewesen war: Der rote Stern war weg! Das genügte ihr. Für sie hatte dieser Tantris die examina bestanden. Triumphierend wandte sie sich zu Hägon um, der zweifelnd seine Augenbrauen hochzog, gab ihm mit einem Wink zu verstehen, sich zurückzuziehen, sah mit einer gewissen Befriedigung zu, wie Tristan erneut die Kräfte verließen, und ordnete an, dass man ihn allein lasse. Es sei an der Zeit, mit der Zubereitung des Gegengifts zu beginnen. Wie so oft, wenn sie sich zum Gehen wandte, hob sie die Arme.
    »Kann ich noch eine Weile bei ihm bleiben?«, fragte die junge Isôt.
    »So lange du willst!« Isolde, die Königin, war glücklich über ihren Erfolg. Niemand außer ihr konnte diesem jungen Kaufmann helfen, der ganz wunderbar sang. So krank er auch war, schon lange hatte sie nicht mehr so frisches Blut um sich an ihrem Hof gehabt. In ihrem Gemach schritt Isolde vor der Feuerstelle ihrer Kräuterküche auf und ab, lächelte und kannte schon die Lösung der vielen Fragen, die in ihr aufgestiegen waren. Es ging um Isolde, ihre Tochter. Bald war es so weit, dass man sie verheiraten musste.

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