Tristan
tragen. Dabei kam er zur Besinnung und wurde gewahr, dass ihn Fremde umgaben. Bei immer noch geschlossenen Augen hörte er zu, was die Umstehenden sagten und in welcher Sprache sie redeten. Es war Eruisch.
Um sich nicht zu verraten, verfiel Tristan deshalb, als wäre er gerade erst wach geworden, in eine Art Dialekt, in dem er Nordisch und Eruisch mischte, und sagte mit schleppender Stimme wie wirr vor sich hin: »Helft mir! Ich bin ein Kaufmann und Sänger und komme von weit her. Handelsleute haben mich ausgesetzt, als ich anfing, aus meiner Wunde zu stinken. Ein Räuber hat sie mir zugefügt. Denkt nur: Er wollte Knaben stehlen, sie auf Spieße stecken und überm Feuer rösten. Da griff ich ein, er zog das Messer, ich glaube, es steckte in seiner Brust, ein Knabe musste es dort hineingestoßen haben in seiner Abwehr und Angst, in Angst und Abwehr, fiel es dem Knaben schwer, ich war die Gegenwehr. Der Räuber war groß und stark, fünf Köpfe größer, als ein Räuber sein kann. Er hatte Augen wie glühende Kohlen. Deshalb war ich froh, dass ich fliehen konnte, und ich floh mit dem Knaben unterm Arm, dort hatte er es warm. Er versteckte sich erst unter meiner Achsel, dann verkroch er sich ganz tief in meiner Brust, und dort ist er immer noch: bei meinem Herzen. Mit Fäusten schlägt er manchmal wild dagegen, nur deshalb bin ich noch am Leben. Doch daher kommen auch die Schmerzen, die ich fühle. Ich bin nicht Ein, ich bin gleich Zwei. Das Bein, die Wunde dort am Bein ist nichts, der Knabe sagt mir, dass er sie mir heilt, im Gegenzug du mir dich selbst versprichst. Ich bin der Ausgesetzte ohne Netze, helft mir und nehmt mich auch gefangen, dann werde ich dorthin gelangen, wo ich immer bleiben werde, unterm Sonnenlicht, auf dieser Erde.«
»Er spricht im Fieber«, sagte einer der Schutzleute, der das Nordische ein wenig verstand. »Und er redet in Reimen.« Ihm gefiel das, ein anderer schüttelte verwundert den Kopf. Der Gestank der Wunde ließen sie alle nach und nach zurücktreten, er war schlimmer als der von faulem Fisch. Doch gegen Eiter und Schorf, dachten sie, gab es Salben und Umschläge. Wichtig war nur, dass der Mann kein Britannier war.
So wurde Tristan in einen Stall nahe des Hafens gebracht, in dem auch Vieh stand. Ein Medicus sah nach ihm, fand den jungen Mann wieder ohnmächtig vor, untersuchte die Wunde und stellte sogleich fest, dass sie vergiftet sein musste. Mit Pinzetten befreite er den Riss im Fleisch von der Haut, hielt mit ausgestreckten Armen Abstand davon, wandte sein grausig verzogenes Gesicht ab und sah dabei Mac Pattern an. »Er ist unerträglich«, stieß er hervor, »dieser Geruch. Er muss schon im Blut sein seit vielen Tagen. Ein Wunder, dass er noch nicht das Herz erreicht hat. Was auch immer diesem Mann geschah, es war nichts Natürliches. Ich kann ihn nicht heilen. Werft ihn in eine Grube und scharrt sie schnell zu, damit das Gift nicht auf uns alle übertritt.« Eilig packte er seine Instrumente ein, hielt sich die Nase zu und wollte den Alten Gulden nicht haben, dem man ihm bot für seine Dienste. Der Medicus verließ fluchend das Zelt und fühlte sich schon angesteckt von diesem »blauen Fieber«, wie er es nannte.
Kaum hatte er diesen Ausdruck gehört, schreckte auch Mac Pattern zurück und wollte nun den Stall nicht mehr betreten. Er ordnete die Verbrennung des Todkranken an, schickte aber zuvor einen Boten zur Königin, um sie von seinem Vorhaben zu unterrichten. Mac Pattern war einer jener Untertanen, die stets fürchteten, etwas Falsches zu tun, indem sie eine Entscheidung trafen, die nicht durch das Oberhaupt gerechtfertigt war.
Als Königin Isolde von dem »blauen Fieber« des Fremden hörte, geriet sie in Rage: das gebe es nicht, zumindest nicht in ihrem Königreich! Erst wolle sie selbst den Kranken in Augenschein nehmen.
Bis dahin vergingen zwei ganze Tage. Dann ließ sie den Medicus holen und Hägon, den Druiden, befahl zwei Knechten und zwei Mägden, vorauszueilen und den Stall zu säubern, und trug einen Beutel mit Salben bei sich, den sie, trotz der Bitte des Medicus, ihn für sie tragen zu dürfen, nicht aus der Hand gab. Wie bei einer Wallfahrt kam die Königin in Begleitung eines kleinen Trupps von Reitern beim Hafen an und betrat den Stall, in dem Tristan sein Krankenlager hatte. Man hatte ihn gewaschen und auf frisches Stroh gebettet. Sein Körper war nackt, nur um die Lenden war ein Tuch geknotet.
Die Königin erstaunte. Trotz des fauligen Geruchs, der
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