Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
Vom Netzwerk:
nannte - woher stammte er wirklich? -, weise einiges Geschick im Unterrichten auf. Verärgert und irritiert war Benedictus erst, als er eines Nachmittags wie immer zur Unterweisung des Lateinischen bei der Königstochter auftauchte und von Brangaene zurückgewiesen wurde. Ob es der Königin Tochter nicht wohl ginge, wollte er wissen. Nein, nein, das sei es nicht, musste er hören, Tantris habe inzwischen den lateinischen Bibelunterricht übernommen.
    Benedictus war klug genug, nicht zu zeigen, wie sehr ihn das kränkte, und fragte stattdessen, bei welchem Vers oder Psalter die beiden denn schon angelangt seien.
    Um die Bibel ginge es gar nicht so sehr, sagte Brangaene ein wenig bissig, da sie sich ebenfalls zurückgesetzt fühlte. Isôt und Tantris würden eher auf Lateinisch Konversation darüber treiben, was in der Bibel so stehe.
    »Conversatio!«, wunderte sich Benedictus.
    »Ja, sie reden auf Lateinisch miteinander, und er hat dabei immer seine Harfe unterm Arm. Er zupft darauf herum, wenn Isôt nicht weiter weiß, und dann fällt ihr etwas ein und sie sagt es.«
    »Was sagt sie denn?« Benedictus wurde ungeduldig.
    »Ich weiß es nicht.« Brangaene zog die Augenbrauen hoch. »Ich verstehe kein Lateinisch. Aber es fällt immer wieder ein Name. Salomonus, glaube ich. Kann das sein?… Und …« Sie stockte.
    »Und?« Benedictus schien sich vor lauter Neugierde aufzurichten, obwohl er dadurch nicht größer wurde.
    »Der Name einer Frau wird auch immer wieder erwähnt. Ich glaube, sie heißt Ruth.« Brangaene sprach den Namen eruisch aus, hinten im Hals, es klang wie ein Räuspern.
    Benedictus war wie vom Schlag getroffen. »Das Buch Ruth«, murmelte er und wandte sich ab, strich sich mit seinen fleischigen Fingern übers Gesicht, kehrte sich wieder um und fragte: »Kann ich nicht…?«
    Brangaene ahnte, was er wollte. »Die beiden möchten nicht gestört werden bei ihren Lektionen. Selbst ich oder die Königin …«
    Benedictus winkte ab. Das wollte er gar nicht hören. »… einen Becher Bier haben!«, stieß er wie in Fortsetzung seiner Frage hervor.
    »Aber natürlich könnt Ihr das!« Brangaene war erleichtert. »Einen ganzen Krug, wenn Ihr wollt.«
     
    Die Wiese ~221~ Das Summen
     
    Er konnte wieder gehen, alles essen, spielen, singen, lesen, fand zu den Sprachen zurück und hatte an seiner Seite eine Elevin, die an Schönheit keiner glich, die er bisher erblickt hatte. Sie war gelehrig und verständig, verspielt und kindhaft, konnte aber auch schnippisch und eitel sein. Isolde, wie er sie nannte, weil ihre Mutter, die ebenso hieß und die er nicht mochte, sie zu einer Isôt verkleinerte, war der wunderbarste Mensch, dem Tristan bislang begegnet war.
    Isôt ihrerseits lernte in diesem jungen Kaufmann und fili einen Menschen kennen, der frei zu sein schien von aller Missgunst, von Hintergedanken und unlauteren Absichten. Er war für sie die Verkörperung der Natur, die auch nichts von ihr verlangte, ihr jedoch alles gab, was sie zu entdecken bereit war. Deshalb erbat sie sich bei der Königin, ihre Lehrstunden, soweit es Sonne und Wolken zuließen, auch draußen fortsetzen zu können: am Meer, auf den Wiesen, »im Wald«.
    »Wie willst du im mothar Schriften üben?«, fragte Isolde, die Königin, kopfschüttelnd, erlaubte es aber, weil ihr ihre Isôt seit der Anwesenheit von Tantris so unbefangen erschien, dass ihr keine bösen Vorstellungen kamen, die sie sonst allein schon mit dem bloßen Wort »mothar«, das sie für Wald verwendete, verband. »Geht nur in den mothar«, sagte sie, »lest in den Rinden der Bäume die Zeichen der Götter, und wenn ihr zurückkommt, erzählt mir davon. Aber geht nicht zu weit hinein, sonst trefft ihr auf Drachen und Bären.«
    Diese Erlaubnis der Königin ließ Isolde, die junge, allein schon aufjubeln. Sie tanzte um Tristan herum, als wäre sie eine Gefangene, der man die Freiheit geschenkt hatte. Und gleich nutzte Isôt ihr Glück aus, indem sie Brangaene verbot, ihnen in den mothar zu folgen. »Das ist unser Wald«, sagte sie, »du bleibst am Rand und wartest auf uns. Und wenn du das Fauchen eines Bären hörst« - da begann sie schon zu lachen - »oder Drachengebrüll« - nun konnte sie sich vor Lachen kaum mehr halten - »dann soll mein Vater mit der Ritterschaft kommen und mich aus dem Feuer und dem stinkenden Rauch befreien« - weiter kam sie nicht. Es machte sie so glücklich, mit diesem Tantris zusammen zu sein, dass ihr jedes Gefühl für Angst verloren ging. Es

Weitere Kostenlose Bücher