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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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wusste für sie auch die Fidel zu streichen, und als Isolde, die Mutter, nach und nach mit wachsendem Erstaunen erfuhr, wie viele Sprachen dieser junge Mann kannte, trieb sie ihre Tochter an, so viel Zeit mit ihm zu verbringen, wie es nur möglich war. Sie war regelrecht besessen von dem Gedanken, dass ihr der Schiffsbrüchige als Lehrer für Isôt vom Himmel geschickt worden war, denn er würde sie keinen halben Burgpfennig kosten, und es beruhigte sie, dass man ihn mitten am Tag auf dem Meer entdeckt hatte.
    »Die Götter haben ihn gesandt!«, sprach sie. »Wäre er in der Nacht gefunden worden, ich hätte ihn zerstückelt den Fischen übergeben.« Sie war zufrieden mit sich, und doch fühlte sie sich durch irgendetwas gestört. Dieser Tantris war der Erste, der nach der Ermordung ihres Bruders, wie sie es nannte, und nach dem Landeverbot für britannische Schiffe und Seeleute an ihrer Küste aufgenommen worden war. Ein Händler - und auch ein Spielmann. Sie misstraute diesem Gewerbe. Oft versteckten sich hinter den bunten Kleidern, den Instrumenten und den schönen Worten, die sie im Munde führten, aus anderen Landen Geschickte, um die Marktplätze und die Bestände der Berittenen auszukundschaften.
    Ihr Bruder Morolt war tot. Von den Britanniern enthauptet worden. Von einem Ritter, den die zurückgekehrten Leute Tacitus genannt hatten. Ein römischer Legionär sei es gewesen, gedungen von Marke, als Britannier maskiert, den Kopf ihres Bruders, dieses so mächtigen starken Menschen, hatte er mit einem Hieb vom Körper getrennt - Isolde hatte das Haupt in den Händen gehalten und wollte dies bis heute nicht wahrhaben. Jemand musste Morolt festgehalten, ihn in einen Hinterhalt gelockt haben. Der Held, so war ihr berichtet worden, sei mit dem Boot des Enthaupteten zurück an Land gerudert. Was für eine Schmach!
    »Und dann kommt dieser sieche Tantris zu uns!«, sagte sie zu Benedictus bei einem ihrer nachmittäglichen Gespräche. »Ein Nichts, ein Niemand, ohne Zeugnis über seine Herkunft, nur mit einer Harfe bewaffnet. Mit einer unheilbaren Wunde, die durch mein Gift erschaffen wurde und nur durch mein Gegengift geheilt werden kann. Sag mir, ist das ein Zufall?«
    Benedictus wand sich. Er hasste es, mit solchen Gesprächen in die Gedanken seiner Königin hineingezogen zu werden. »Ein Kaufmann, der vielleicht betrogen hat und ausgesetzt wurde«, sagte Benedictus und setzte hinzu: »Was weiß ich?« Auch ihm kam das alles sehr merkwürdig vor.
    Denn Dorran, der ehemalige Knecht Isoldes, den er in seine Obhut genommen und erst wegen seiner wirren Reden eingesperrt hatte, der inzwischen aber auf den Feldern hinter dem Felsenkloster arbeitete, hatte irgendjemanden von dem Spielmann Tantris mit seiner stinkenden Wunde erzählen hören.
    »Den kenne ich!« Mit diesen Worten war Dorran plötzlich bei Benedictus im Scriptorium gestanden.
    »Wen kennst du?«, fragte der Abt und blickte von einem Blatt auf, das er bei Kerzenlicht kopierte. Dorran hielt sich nahe der niedrigen Tür auf, demütig und gebückt, wie er es sich angewöhnt hatte, vor dem Mönch zu erscheinen. In der Hand hielt er seine Mütze und eine kleine Schaufel, mit der er draußen in den Feldern herumstach.
    »Mein Name ist Tristan«, sagte Dorran mit verstellter Stimme, die der eines Knaben glich. »Mein Weg soll mich führen nach Padua und später nach Iberia, wo ich …«
    »Was redest du da?«, unterbrach ihn Benedictus unwirsch. »Lass mich in Ruhe und leg dich in deiner Zelle schlafen, oder ich schließe dich für einen Tag weg.«
    Damit war der Fall für Benedictus erledigt, er wandte sich wieder seiner Abschrift zu, einem Dekret der Königin zur Neuregelung der Zölle auf Korn und Hanf. Die Abgaben sollten erhöht werden, weil die eigenen Leute im Land immer mehr davon herstellten.
    »Die Königin ließ mich suchen«, fuhr Dorran fort und schien sehr aufgeregt.
    »Dich ließ niemand suchen, du suchst nur immerfort nach dir selbst«, sagte Benedictus und rief nach Bruder Anselm, einem Schweizer, der dafür sorgen sollte, dass Dorran in seine Zelle gebracht wurde.
    So geschah es auch. Aber kaum dass es wieder still war in dem höhlenartigen Scriptorium, hörte Frau Benedictus den Worten nach: Tantris und Tristan. Es gab eine Ähnlichkeit, er wusste nur nicht wie und wo.
    Doch diese Zweifel und Vagheiten konnte er gegenüber seiner Königin nicht äußern. Gerüchte mehrten sich, der junge nordische oder venezianische Kaufmannssohn, der sich Tantris

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