Tristan
»Ach wäre die Welt doch für immer mein!«
»Dorran!« Der Abt Benedictus tauchte plötzlich im Wiesengrund auf. »Dorran, was bringst du Tölpel mir der Königin Tochter in Verwirrung?«
»Es ist nichts, rein gar nichts!« Isôt fand die Beherrschung wieder, trat einen Schritt vor und versuchte, den Mönch, der auf Dorran losging, zu beruhigen. Doch Benedictus wurde immer wütender, weil Dorran nun Grasbüschel um Grasbüschel aus der Erde riss und dabei jedes Mal in hoher Stimmlage einen kurzen Vers vor sich hin zu sagen und auch zu wiederholen schien. Dies geschah so lange, bis Benedictus bei ihm war und ihn so fest am Kragen packte, dass dem Knecht fast die Luft wegblieb. Der Mönch entschuldigte sich bei der Königin Tochter und führte Dorran davon.
Das ungleiche Paar war noch nicht weit entfernt, da kam Brangaene von den Ställen zurück. Die Knechte seien bald hier, sagte sie und wollte wissen, was denn geschehen sei.
»Woher kennt er diese Verse?«, sprach Isôt mehr zu sich selbst als zur Magd.
»Wer kennt welche Verse?«
»Dorran. - Die aus meinem Lied.«
»Was für ein Lied?«
Isôt antwortete nicht darauf. Aus dem baire werde nichts, sagte sie stattdessen. Sie wolle jetzt allein sein. Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging auf dem Pfad zurück zur Burg.
Mein Lied, dachte sie, niemand sollte es jemals hören. Aber sie hatte es schon manchmal vor sich hin gesungen, wenn sie allein bei den Hügeln unterwegs war. Dabei musste Dorran sie belauscht haben. Es war ihr Abschiedslied für Tantris gewesen. Sie hatte es für ihn singen wollen, es aber nicht zu tun gewagt. Ihr Geheimnis sollte es bleiben: Isolde und Isot, sie war in höchster Not, sie trauerte ihm nach, der Tränen und der Sinne Schmach, sie dürfen keine minne sein, sie sollen reine sinne sein, so wie ich ihm gedenke, so ist er mir gemach. - So hatte sie singend, flüsternd gereimt. Nun war Tantris aus ihrem Leben verschwunden. Nur sein Name blieb ihr. Brangaenes Vater Hägon hatte einmal zu ihr gesagt: »Hinter dem Stern am Himmel, den nur du sehen kannst, ist dein Name geschrieben. Erst wenn er verglüht und verlischt, wirst du wissen, wie du heißt.« Isot musste weinen, rannte in ihr Gemach und drückte die Tür fest hinter sich zu.
wib ~225~ magd
Auf dem Handelsschiff, dessen Ziel zuerst Ellan Vannin und dann der Norden .war, hockte Tristan am Bug in einer vom Wind geschützten Ecke und dachte bei geschlossenen Augen an die hinter ihm liegende Zeit. Er sah dabei die Königin vor sich, Isolde, ein wib, das seine Mutter hätte sein können, und Isôt, die Wunderschöne, seine Gefährtin. Obwohl sie so alt war wie er, hatte er sich ihr nicht nähern können. Ungleiches durfte sich nicht mit Ungleichem verbinden, so war das Recht. Ein Ritter und eine Königstochter - wie sollte das möglich sein? In Parmenien bin ich zwar ein Fürst, doch was ist schon Parmenien? Außerdem bin ich Tantris, der Spielmann. Auch das sah er vor Augen. Es gab keine Verbindung. Nirgendwo. - Und doch konnte er sie fühlen. An Blancheflur dachte er, die er nie kennengelernt hatte. An Floräte, die er so sehr liebte. Wo waren sie? Wo waren diese seine Mütter?
Er blickte auf die zusammengerollten Taue und auf die Kisten, von denen er nicht wusste, was sie bargen. In seinen Ohren rauschten das Meer und der Wind. Bis auf einen Rest hatte er alle Münzen, die er von Isolde erhalten hatte, dem Schiffsführer gegeben, damit er den Kurs änderte und ihn nach Britannien brachte. Er würde heimkehren und alle überraschen, die ihn tot glaubten. Ars und disciplina, würde er verlauten lassen, haben mich geheilt! Kein Sterbenswort über Isoldes Künste! Auch nicht den Baronen gegenüber, dass er in Feindesland wieder zu dem wurde, der er einst war. Niemand sollte erfahren, dass aus Tristan Tantris geworden war - außer Marke, dem musste er sich anvertrauen.
Bewegt von diesen Gedanken kehrte er nach Cornwall zurück. Das Schiff legte in Seaford an, und er ging von Bord wie einer von der Mannschaft. Niemand achtete auf ihn. Er kaufte sich ein Pferd, ritt nach Tintajol, sah die herrlichen Eichen am Wegrand, die Kornfelder von König Marke und fühlte sich dort, wo er war, heimelig.
Nicht mehr weit entfernt von der Burg sah er am Wegrand ein Gehöft, davor spielten zwei Kinder. Ein paar Schweine waren im Gatter, in einem anderen Ziegen. Wer dort wohnt, dem muss es gut gehen, dachte er, stieg vom Pferd und bat eines der Kinder um einen Krug Wasser.
Die
Weitere Kostenlose Bücher