Tristan
Kinder liefen in die Hütte, und heraus kam eine Frau, die er sofort wiedererkannte. Helen, des Jägers Frau, Magd an Markes Hof, die Frau, der er zuerst begegnet war an jenem Morgen im Sonnenlicht unter dem Tor zum Stall und die ihn zuletzt begleitet hatte, als er todkrank nach Irland übersetzte.
»Helen!«, rief er aus, und dunkel kam ihm mit der Erinnerung an sie ein Bild entgegen, in dem er sie bei sich liegen sah.
»Tristan!« Sie schien nicht einmal erstaunt. »Ihr seid also doch nicht tot! Ich wusste es, ich ahnte es, ich hab’s mir so gewünscht, den Nörglern und den Missgünstigen zum Trotz und Euch zum Wohl!« Sie brach in Tränen aus vor Freude, und Tristan glaubte ihr. Wie schön war es, nach der langen Zeit endlich wieder seinen Namen zu hören, ausgesprochen von einer ehrlichen Seele, der er ihre Treue nie vergessen würde.
Rückkehr ~226~ Ankündigung
Ehe Tristan auf Tintajol ankam, wussten schon alle von seiner Rückkehr. Boten hatten die Nachricht gleich nach seiner Ankunft Hof und König mitgeteilt. Marke ritt seinem Neffen entgegen, noch bevor er das Tor erreichte. Dort warteten die Barone, deren Kinder er vor den Klauen des grausamen Morolt gerettet hatte. Menschen standen am Wegrand, die ihm Blumen zuwarfen, Ritter kamen ihm auf ihren Rössern entgegen, die ihm ihren Namen nannten und im Vörüberreiten erwähnten, dass sie schon gemeinsam mit seinem Vater Riwalin am Feuer gesessen hatten.
Welche Innigkeit aber spürte er, als er schließlich König Marke vor die Füße fallen konnte! Tristan weinte vor Freude, den Freund und Oheim wiederzusehen, ihm fehlten vor Glück die Worte, von all dem zu berichten, was er erlebt hatte. Wie sollte er damit beginnen zu erklären, dass er fast ein Jahr lang nicht Tristan, sondern Tantris gewesen war? Wie sollte er ihm Isôt schildern, die so sehr sein Herz bewegt hatte, dass allein der Gedanke an sie ihm Schmerzen bereitete.
Die freudige Wiederbegegnung mit Marke vertrieb gleichwohl nicht seine Bedenken. Denn bereits beim Eintritt an der Seite Tristans auf Tintajol konnte Marke sich nicht enthalten, den gerade erst Heimgekehrten mit Fragen zu überschütten: »Wo bist du gewesen, wie ist es dir ergangen, bist du geheilt?«
Tristan gab ausweichende Antworten, nannte ein paar Namen und Orte, erwähnte den langen Prozess der Heilung und war froh, dass noch in derselben Stunde ihm zu Ehren ein Festmahl gereicht werden sollte. In einer Kemenate fand er seine Kleider wieder, die er hatte zurücklassen müssen, das blaue Wams, das er so liebte, die feinen hirschledernen Stiefel, den Dolch aus Toledo. Es war Tristan, als sei er beschenkt worden mit dem, was er schon besaß, und als würde sein Besitz nur aus Geschenken bestehen.
Während des Festmahls erklärte er den versammelten Baronen, fremdländische Medici und druis hätten ihn geheilt, und erzählte ihnen von der abenteuerlichen Überfahrt und seiner Rettung auf See durch einfache Fischersleute. Um sich Entgelt für die Rückkehr zu verdienen, hätte er viele Dienste ausführen müssen, aber nun sei er da, wolle vorausblicken und nicht zurück.
Man gab sich mit solchen Schilderungen zufrieden. Sie klangen weder geheimnisvoll noch übertrieben, doch ein jeder hörte gern von Erlebtem, das man selbst nicht hatte erdulden müssen. Die erste Neugier war befriedigt, und am Ende der heiter gestimmten Zusammenkunft hatten viele der Anwesenden das Gefühl, Tristan sei gar nicht so lange fort gewesen, da er weder von aventüren noch von amouren berichten konnte. Die Versammlung löste sich auf, man ging seiner Wege, nur Marke und Tristan blieben zurück.
Da fasste ihn Marke an der Schulter an und sagte: »Du siehst gut aus, gut genährt, versorgt und nicht unglücklich. Mir kannst du nichts vormachen: Wer hat dich gepflegt?«
Tristan sah Marke in die Augen. »Eine Königin und ihre Tochter.«
Marke erschrak: »Isolde etwa?«
»Isolde und Isôt.«
»Berichte! Und wenn es bis zum frühen Morgen dauert!« In Markes Blick lagen Neugier und Zweifel.
Diese Aufgeregtheit ging auf Tristan über. Was war das Wichtigste für ihn gewesen in diesem vergangenen Jahr? Seine Angst, seine Schmerzen, seine Lieder, die er mit trockener Stimme hervorgebracht hatte? Oder die Zaubertränke der Königin Isolde, die Schönheit der Tochter? Der Mönch Benedictus oder der wunderliche Knecht, von dem alle erzählten, dass er mit verschiedenen Stimmen reden konnte? Oder etwa seine Abfahrt aus Cornwall, wo er so
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