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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Tantris war mit einer stinkenden Wunde zu ihr gekommen, dachte sie stirnrunzelnd, und jetzt, da er weg war, musste sie sich ihrem eigenen Gestank ausliefern. Wovon nur hatte sie diesen Durchfall bekommen?
    Irgendetwas stimmte nicht. Sie schickte Brangaene zu Hägon, er solle kommen und die Steine mitbringen. Oder lag es an dem Brei, den sie neulich angerührt hatte? Brennnesseln und Sauerampfer waren dabei gewesen, sie wusste es nicht mehr genau - doch das könnte es gewesen sein. »Ist auch einerlei«, sagte sie und legte sich auf ihr Lager.
    So vergingen die Tage.
     
    Wie es heißt ~224~ und wie es ist
     
    Für Isolde, die Tochter, war die Zeit nach Tristans Abreise auf ganz andere Weise qualvoll. Sie fühlte sich leer. Wenn Brangaene sie am Morgen weckte und ihr einen Gang an den Waldrand oder ans Meer versprach, war sie nicht dazu zu bewegen. Sie täuschte Kopfschmerzen vor. Die Nähe ihrer Eltern mied sie, ständig gab es Streit zwischen den beiden, und Isolde, die Mutter, schrie sogar Hägon an und behauptete, er habe die für sie ungünstigen Steine »gelegt«, nicht »geworfen«. Oder sie wandte sich voller Zorn an ihre Tochter und verkündete ihr, dass es langsam Zeit wäre, sie zu verheiraten. Wenn dieses Wort fiel, verließ Isôt fluchtartig den Raum.
    Eines Mittags stand plötzlich Pater Benedictus vor Isôts Tür. Sie empfing ihn in bestem Lateinisch: »Was ist Euer Wunsch?« Die Tür ließ sie nur halb geöffnet. »Benedictus sum. Ich möchte Euch Trost spenden«, hörte sie den Mönch sagen und antwortete: »Geh dorthin, wo du ihn für dich selbst findest!«
    Zwei Tage später meldete sich unverhofft ein Sänger. Isolde, die Königin, habe ihn geschickt.
    Wieder befahl Isôt Brangaene, die Tür nur um einen Spalt zu öffnen, und dem Sänger, zu singen. Doch sein Vortrag war so voller Misstöne, dass sie Brangaene noch vor Beendigung des ersten Liedes aufforderte, ihm zwei Pfennige zu geben und ihn wegzuschicken.
    »Zwei Pfennige?«, rief Brangaene ungehalten. »Seid Ihr bei Sinnen? Er hatte gerade erst angefangen.«
    »Aber er hat den Weg hierher gefunden«, sagte Isot. »Auch das muss belohnt werden. Sein Rückweg ist allerdings umsonst.« Sie lachte.
    Es war ihr aber nicht zum Lachen zumute, und so erstarb es schnell. Sie dachte an Tantris. Es gab wohl keinen anderen, den sie so anrührend schön wieder würde singen hören.
    »Und was machen wir jetzt?«, fragte Brangaene, nachdem der fili verschwunden war. »Gehen wir nach draußen, suchen uns ein paar Knechte und machen ein baire!«
    »Warum nicht?« Isolde, der Tochter, war alles lieb, was ihr helfen konnte, den Tag so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Also liefen die beiden jungen Frauen hinaus auf die Wiese. Brangaene ließ Isôt eine Weile allein, um nach den Knechten im Stall zu suchen, damit sie Mitspieler hatten. Währenddessen trafen Isôt und Dorran aufeinander. Jeden Nachmittag entließ Benedictus seinen Helfer für eine Stunde aus dem Scriptorium oder seiner Zelle, weil er trotz seiner geistigen Verwirrung immer wieder folgsam zurückkehrte.
    »Dorran«, sagte Isôt, als sie ihn bemerkte, »was tust du hier? Ich habe dich viele Monde lang nicht mehr gesehen. Wo steckst du denn jetzt?«
    »Die Himbeere ist süßer als die Brombeere«, sagte Dorran, und Isolde erschrak. Das war die Stimme von Tantris, die sie hörte.
    »Dorran!«, sagte sie nochmals. »Ich bin es, Isôt, erkennst du mich?«
    »Du gefällst mir«, sagte er wieder mit Tristans Stimme und sah sie mit schief gelegtem Kopf an. »Nicht mehr lange, dann werde ich dich verheiraten«, sagte er.
    Isôt war befremdet. »Wie kommst du darauf?«
    »Weil ich es befehlen werde!«
    Isôt trat entsetzt einen Schritt zurück. Dorran hatte gerade mit der Stimme ihrer Mutter gesprochen. Er blickte sie zornig an. »Aber wie soll ich …«, stammelte Isolde.
    »Du sollst gar nichts, du mussti« Dorran, der auf der Wiese nach Gräsern zu suchen schien, stellte sich plötzlich auf und herrschte Isôt mit einer Stimme an, die der von Gurmûn glich.
    Isot war daraufhin wie erstarrt. Sie sah den Knecht vor sich, der seine Gestalt nicht veränderte, sprechend jedoch ständig eine andere Person war. Zitternd rief sie nach Brangaene, sie brauchte Hilfe und Beistand. Da wandte sich Dorran unversehens ab, kniete nieder zu den Wiesenblumen, riss ein Büschel aus der Erde, hielt es gegen den Himmel und rief mit lauter Stimme, in der Isot dem Tonfall nach ihre eigene wiedererkennen konnte:

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