Tristan
Büschen in der beginnenden Morgendämmerung.
Um den Wald von Sheldon zu erreichen, musste Tristan von der Küste aus immer nach Westen reiten. Es gab dort in den Hügeln und Tälern keine Wege, nur von Tieren ausgetretene Pfade. Manchmal kam er an tiefe, felsige Gräben, die er in weitem Bogen umreiten musste. Dann trieb er sein Pferd zur Eile an, gönnte sich keinen Halt und sah endlich ein breites dunkles Band am Horizont, hinter dem ein kahler Gesteinskegel aufragte, der Sheldon, wie Dorran ihn beschrieben hatte. Tristan hielt darauf zu und erreichte noch vor des Tages Mitte den Waldrand. Uralte Bäume, mit Flechten behangen, mannshohe Farne und glitschige Moosgründe schienen ein Durchkommen unmöglich zu machen. Er wusste nicht, wohin er sich wenden sollte. Da wechselte der Wind und wehte ihm plötzlich von Land her entgegen. Kalter Brandgeruch lag in der Luft. Dem folgte er. Als wäre die wie undurchdringlich erscheinende Wand des Waldsaums nur zur Täuschung da, um den Wald als ein immergrünes Trugbild erscheinen zu lassen, traf er bald auf verkohltes Unterholz und rauchenden, an manchen Stellen noch glimmenden Boden. Je tiefer er in den Wald eindrang, desto schlimmer wurde die Verwüstung, die das Feuer angerichtet hatte. Es gab Abschnitte längs seines Weges, da starrten nur noch schwarze Baumstümpfe aus dem mit Asche bedeckten Boden, darüber leuchtete der freie Himmel hell und glasig. An anderer Stelle, an der das Feuer keine Nahrung bekommen hatte, ragten die Bäume mächtig hoch auf, und ihr dichtes Blattwerk machte alles schattig und undurchdringbar wild. Wer in diesen halb verbrannten Wald gerät, dachte Tristan, muss wahrlich denken, hier hätte ein Feuer speiender Drache eine Schneise der Verwüstung hinterlassen.
Tristan folgte den vermeintlichen Spuren des Untiers und stieß immer öfter auf Holzstöße, von denen aus der Brand angefacht worden sein musste. Über dem Geruch von Verkohltem lag der von Pech und Schwefel. Er wollte schon vom Pferd steigen, um sich einen dieser Brandhaufen genauer anzusehen, da hörte er Schreie. Rasch dirigierte er sein Pferd hinter einen Baumstamm und sah, wie drei oder vier Männer, die einen Verwundeten mit sich zu schleppen schienen, zwischen den kahlen Bäumen davonstürmten. Nur wenig später tauchten zwei Soldaten auf. Sie trugen Helme, aber ihre Rüstungen waren von Reisern und Ästen bedeckt, und in ihren Händen trugen sie Fackeln und überlange Lanzen, an denen ebenfalls kleine Pechfeuer brannten. Die Drachensoldaten, dachte Tristan voller Zorn. Sie blickten lachend den Flüchtenden nach und begannen, die Flammen ihrer Fackeln auszutreten. Tristan wendete sein Pferd und ritt in die Richtung, aus der die Männer gekommen waren.
Nach kurzer Strecke geriet er an einen von ausgewaschenen Gesteinsbrocken umgebenen Bachlauf. Etwas weiter entfernt erblickte er in einem Felsen ein dunkles Loch. Darauf hielt er zu, stieg vom Pferd, bewaffnete sich mit Speer und Schwert und wollte gerade den Eingang der Höhle betreten, als ihm ein fürchterliches Gebrüll entgegenschallte. Gleich darauf tappte ein riesiger Bär mit erhobenen Pranken auf ihn zu - da schleuderte Tristan schon mit aller Kraft seinen Speer und traf das Tier neben dem linken Auge direkt in den Schädel. Es bäumte sich auf, stürzte vornüber und regte sich nicht mehr. Tristan trat an das Tier heran und versetzte ihm mit dem Schwert einen Stoß in die Seite. Nun wollte er sich zu dem Kopf des Bären hinunterbücken, aber sein Brustpanzer hinderte ihn daran. Eilig ging er zu seinem Pferd zurück, streifte die mit Eisenplättchen besetzten Handschuhe ab, zog aus der Satteltasche den Dolch und schnitt die Bänder auf, die das Brustschild festhielten. Danach kehrte er zu dem Bären zurück, drehte den schweren Körper mit letzter Kraft auf die Seite, riss dem Tier das Maul auf und schnitt ihm die Zunge heraus. Er brauchte einen Beweis. In den Händen hielt er einen riesigen Fleischlappen, rau und von violetter Farbe. Ohne viel zu überlegen, stopfte er ihn sich unter das Hemd und spürte die plötzliche Wärme an seiner Brust. »Eine Zunge«, stöhnte er, schüttelte sich und musste an Elbeth denken. Ihm wurde schwindlig. Trotzdem begann er, Steine, Schlamm und verkohltes Holz auf das Tier zu werfen, um es zu verstecken. Tristan fühlte, wie ihm der Schweiß über das Gesicht rann. Noch immer trug er seinen Helm. Nur weg von hier, dachte er, raffte sich auf und wollte zu seinem Pferd zurück. Kurz
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