Tristan
nannte sich heutzutage nicht alles König! Vielleicht war er auch ein ekliger Mensch, überall behaart, mit einem verfilzten Bart, wie ihn dieser Wirt trug!
Brangaene schüttelte sich. Sie konnte sich nicht vorstellen, was auf sie zukommen würde. Ihren Bruder hatte sie einmal nackt gesehen, als er sich am Zuber wusch, und dabei auch sein Geschlecht. Sie wusste, wie es die Tiere machten. Bei den Menschen konnte es nicht viel anders zugehen. Sie hatte auch schon das Brennen in ihrem Schoß verspürt, doch was zwischen ihren Beinen war, hatte sie bisher immer nur beim Waschen abgetastet, gesehen hatte sie es noch nie. Wenn da nun ein fremder Mann wie ein Bulle mit diesem steifen, zum Pissen geschaffenen Gliedmaß in sie stoßen würde, wie die Tiere es taten … Sie trank ihren Becher aus und fragte den Wirt nach dem Weg zum Stall.
Am nächsten Morgen traf sie vor den Hütten an der Bucht Tristan und Isolde. Das Schiff war zum Ablegen bereit, man wartete nur noch auf sie. Die Fahrt ging immer entlang der Küste, und es dauerte nicht mehr als einen Nachmittag, da sah man den Hafen von Seaford. Dort waren schon Feuer entzündet worden, kleine Boote kamen ihrem Schiff entgegen. In einem davon saß König Marke mit etlichen Baronen und Courvenal und ließ sich an den Segler heranrudern. Es gab freudige Willkommensrufe, und Markes Boot begleitete das eruische Schiff bis zur Anlegestelle. Dort vollzog sich die offizielle Übergabe. Tristan führte Isolde schicklich an der Hand über einen Steg bis ans Ufer dem König entgegen. Marke war vom ersten Moment an von der Schönheit der eruischen Königstochter wie gebannt, senkte aber immer wieder bei seinen Verbeugungen den Blick vor ihr wie ein Untergebener. Erst dann umarmte er Tristan, drückte ihn an sich und flüsterte ihm mehrmals seine Dankesworte zu. Dem Tross befahl er, die Königstochter noch vor Einbruch der Nacht nach Tintajol zu bringen.
Brangaene staunte: Entlang eines ihr endlos erscheinenden Weges waren Feuer entfacht oder Fackeln aufgestellt, das Schloss selbst erschien im Dämmerlicht mit seinen von Flammen beschienen Steinmauern wie eine uneinnehmbare Festung. Als der Weg zum Haupttor etwas steiler anstieg und die Pferde sich über den ausgetretenen Weg und durch den Schlamm mühten, schloss Tristan zu Brangaene auf.
»Mir blutet das Herz«, sagte er leise zu Brangaene, »und zugleich bin ich frohen Mutes. Die Narren machen uns vor, dass man bisweilen Lachen und Weinen nicht voneinander unterscheiden kann. Manchmal lachen wir Tränen, und sind wir bisweilen voller Trauer, brechen wir plötzlich in Lachen aus. So fühle ich mich gerade. Im Unglück steckt auch das Wort Glück. Mir aber ist so zumute wie einer Forelle, die ich vor langer Zeit einmal aus dem Wasser zog und die versuchte, an Land zu atmen.« Tristan schwieg und führte sein prächtig gerüstetes Pferd näher an das von Brangaene heran. »Ich bitte dich«, sagte er, »lass dich nie fangen, bleibe immer im Wasser.«
Er gab seinem Pferd einige Tritte in die Flanken, stürmte wie ein Ritter voran und schloss wieder zu seinem Oheim auf, den er nie zuvor so glücklich gesehen hatte. Marke ritt an der Seite Isoldes, die er nicht wagte anzublicken, als fürchtete er, irgendeinen Makel an ihr entdecken zu können. Aber es gab keinen Makel. Isolde war und blieb betörend schön. In ihr Herz konnte Marke damals nicht blicken. Denn ihr Herz gehörte Tristan. Niemand wusste dies, außer Tristan und - Brangaene.
Annäherungsversuche ~ 243 ~ Hinterm Kirschbaumgarten
Schon wenige Wochen nach Isoldes Ankunft fand auf Tintajol eine Hochzeit statt, wie sie das Königreich zuvor nie gesehen hatte. Als hätten sie bereits in den Wäldern gelagert, strömten von überall her Ritter und Barone zum Schloss, unermüdlich wurden Tribünen und Zelte aufgebaut, Unterkünfte angelegt, Käfige voll mit Hühnern herbeigeschafft, ganze Herden von Ziegen und Schafen herangetrieben, Hunderte von Säcken voller Holzkohle und Wagenladungen von Stroh und Heu angeliefert. Herde baute man auf, in denen unentwegt Feuer brannte, Artisten waren gekommen, kleine Bühnen wurden errichtet - und der Himmel gab seinen Segen dazu, denn es herrschte außergewöhnlich schönes, strahlendes Wetter, die Sonne schien all die Tage über.
Tristan hatte, zusammen mit vier Rittern, die ihm von Turnieren her bekannt waren, ein besonderes Gemach zugewiesen bekommen, etwas abseits der Räume des Königs und seiner zukünftigen Gemahlin,
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