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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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süßer, schwerer und zugleich auch beißender Geruch stieg. Zu Isoldes Erstaunen stellte er das Fläschchen beiseite, verließ das Bett, verschwand in einen Nebenraum und kam mit zwei Öllämpchen in den Händen zurück. An ihrer Flamme zündete er nach und nach die anderen Lämpchen an, die Brangaene gelöscht hatte, bis der Raum in einem weichen Licht lag. Nun erst kehrte er zu Isolde zurück, beschien ihr Gesicht, sah in ihre funkelnden Augen und auf ihren jungen, wohlgeformten Körper, der unter dem blutbefleckten Seidenhemd sichtbar war. »Vergiften also«, murmelte er, und Isolde spielte, ihn mit ihren Blicken bestätigend und mit einem Lächeln um den Mund, die Rolle der jungen Königin.
    »Wir alle brauchen dieses Gift«, flüsterte sie, »besonders aber ihr Männer, wenn ihr Kräfte statt Mut benötigt. Das Rezept stammt von meiner Mutter. Die kennt sich aus damit.«
    »Also doch!« Marke stöhnte leise auf, wollte erst Isolde in seine Arme nehmen, führte aber zuerst den Hals des schlanken Gefäßes an seinen Mund und ließ die Flüssigkeit über seine Zunge in den Rachen laufen. Das Gift der Liebe!, dachte er dabei, warf das leere Glas zur Seite und zog Isolde an sich. Er fühlte, wie sein Geschlecht nach ihr verlangte. Seine Augen schlossen sich. Er tauchte ein in den Veilchenduft, legte sich mit seinem Körper ganz auf sie, seine Hände berührten zärtlich ihre Schultern, ein Gefühl der Glückseligkeit durchströmte ihn. »Bist du endlich mein?«, flüsterte er in Isoldes Nacken.
    Sie brauchte nicht zu antworten. Marke war im Nu auf ihr eingeschlafen. Sie musste ihn nur von sich herunterwälzen und konnte endlich selbst die Augen schließen. Dabei fühlte sie, wie all die bange Sorge von ihr abfiel. König Marke hatte von der Täuschung nichts bemerkt. Der aphrodisierende Schlaftrunk hatte ihn besänftigt und ihm die Illusion gelassen, ein zweites Mal mit seiner Königin vereint zu sein. Der Plan war gelungen, Isolde war frei - frei für den, den sie liebte.
    Am nächsten Morgen fanden Helen und die Zofe Genifer das Königspaar auf dem Bett vereint und konnten bezeugen, der König habe mit der Königin seine erste Nacht verbracht und Isolde sei zur Frau geworden.
    Für Brangaene war es eine schlimme Nacht gewesen. Sie hatte sich, nachdem Isolde zu Marke gegangen war, an Tristans Schulter gelehnt und ihm gestanden, dass sie vieles in ihrem Leben schon gewollt habe, sogar den Tod von anderen, nur dieses eine nicht. Zu off schon habe sie erlebt, wie schlecht viele Männer die Frauen behandelten. Sie benutzten sie zu ihrer Befriedigung, und käme dann ein Kind zur Welt, kümmerten sie sich nicht darum.
    »Was bleibt uns denn anderes«, klagte sie in dieser Nacht an Tristans Brust, »als das Leben, das wir gebären, anzunehmen? Wir wissen ja vorher nicht, was da aus uns herauskommt. Wird es ein Junge - wird er ein Knecht, wird es ein Mädchen - dann eine Magd. Und was wird aus uns selbst? Ich bin die Tochter eines drui, nicht eine Irgendjemand, nicht die Magd, die mit einem Knecht verbunden ist, der einen Vater hat, der ein Knecht ist und dessen Mutter eine Magd war, die einen Knecht getroffen hat. Und das geht immer so fort bis in die tiefsten Tiefen dessen, dass der Vater ein Nichts war und die Mutter eine Garnichts!«
    Bei den letzten Sätzen war Brangaene ins Eruische übergewechselt und hatte zu weinen begonnen. Sie hatte sich an Tristan festgeklammert. Da sie nackt war und ihre Beine noch besprenkelt mit Blut, hatte Isolde noch, bevor sie in Markes Gemach gehuscht war, ein Tuch über sie gelegt. Nun forderte Tristan sie auf, sich zu waschen und zu den Schlafstätten der Zofen zu gehen, damit man sie dort nicht vermisste.
    Es war ihm unangenehm, sie darauf hinzuweisen und seine eigene Stimme zu hören, die sanft und wohlwollend klingen sollte, obwohl ihm ganz anders zumute war. Denn fast gleich nebenan ruhte Isolde, seine Isolde, an Markes Seite.
    Brangaene raffte sich auf. Sie sei, sagte sie im Weggehen, nun für immer die Tochter ihres Vaters und könne nie mehr eine andere werden, sie sei schamlos und daher von jetzt an Brangaene von Hägon. Es schwang ein bitterer Ton in ihrer Stimme mit.
    Tristan behielt ihn im Ohr und runzelte nachdenklich die Stirn. Er hatte sich in einer der Nischen des Flurs auf eine Bank gesetzt, mit angezogenen Beinen. Von fern klang noch leise die Festmusik. Er schloss die Augen, lauschte. Musik, ja, dachte er, Klänge, Worte, die Musik sind oder werden, wenn man sie

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