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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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eine Sonne. Er zählte nicht nach, aber er war sich sicher, dass das Dach aus acht Tuchbahnen bestand.
    Kaum war er aus dem Schatten der Bäume herausgeritten, eilten Mädchen auf ihn zu, die noch Kinder waren. Sie trugen die Kleider von Frauen, hatten Bänder im Haar und Tücher über den Schultern. Sie lachten ihn an, forderten ihn auf, vom Pferd zu steigen, wollten sich um das Tier kümmern und streckten dem »Ritter, der auch Pferde töten kann«, so nannten sie ihn, ihre kleinen Hände entgegen. Zwischen die Finger hatten sie Blumen gebunden, und ihre Lippen waren zinnoberrot angemalt. Riwalin hatte etwas Derartiges nie zuvor gesehen, nicht einmal auf den Jahrmärkten, auf denen das fahrende Volk sich oft verkleidete, als gäbe es kein Diesseits, sondern nur die eigene Welt.
    In seiner Überraschung folgte er der Verführung, ließ sich von den Mädchen begleiten, trat ins erste Zelt ein und wurde von einer Frau begrüßt, die eine Maske vor ihr Gesicht hielt. Sie gebrauchte schmeichelnde Worte und flüsterte ihm zu, er sei für heute auserkoren, »die Königin« zu treffen. »Welche Königin?«, wollte er wissen, da wurde er schon fortgerissen zu einem anderen Ausgang des Zelts und wäre beinahe über einen Mann gestolpert, der auf dem Boden lag. Riwalin schaute sich noch nach ihm um, sah das Gesicht, die geschlossenen Augen, und nahm den Eindruck von dem Schlafenden mit sich hinaus ins Freie, noch immer gezogen von den Mädchen, die inzwischen ihre Bänder um seine Arme gewickelt hatten und ihn weiter fortdrängten zu dem Zelt in der Mitte. Auch hier wurden die Planen wie von Geisterhand zur Seite geschlagen, die Mädchen lachten und schrien auf, die Bänder lösten sich von seinen Händen, Blüten wirbelten durch die Luft direkt vor seine Augen, und Riwalin sah in ein Frauengesicht, das er an seinem Lächeln erkannte. Es war Blancheflur. Darüber erschrak er und erwachte.
    Entsetzt fuhr er von seinem Lager auf und rief nach Bodan. Um ihn herum war es dunkel, auf einem Schemel flackerte ein Öllämpchen. Im Zelt war es still. Er wollte nicht glauben, dass er nur geträumt hatte. Die Bilder waren so nah gewesen und waren es noch. Es musste tiefste Nacht sein, Bodan kam nicht, kein Laut war zu hören, nur das Schnauben der Pferde, die nicht weit entfernt von den Zelten standen.
    Riwalin trank einen Schluck Wasser aus der Karaffe und legte sich wieder hin. Wenn es wirklich nur ein Traum war, was ich eben noch gesehen habe, dachte er, so will ich ewig weiterträumen. Aber ich will Blancheflur dort sehen, dachte er bei geschlossenen Augen, wo sie sein soll, auf der Burg, in ihren Gemächern. Er wollte sich zwingen, sich dies vorzustellen. In der Müdigkeit, die ihn überkam, tauchte sie doch wieder in dem Zelt auf, dessen Boden mit Teppichen ausgeschlagen war. Die Bettstatt, auf die er sank, war mit weichen Tüchern bedeckt. Blancheflur beugte sich über ihn, ihr Gewand war wie ein Spinnweb, und weil Kerzen um das Bett herumstanden, fürchtete Riwalin, dass die seidenen Fäden in Flammen aufgehen könnten, und wollte sie warnen.
    »Ich bin es, Herr«, hörte er Bodans Stimme, schlug die Augen auf und sah in die Kerzenflamme, die in der Hand seines Knappen leuchtete.
    »Was willst du?«, herrschte Riwalin ihn an.
    »Es ist etwas Furchtbares geschehen. Steht auf. Die Zelte brennen!«
    »Die Zelte?« Riwalin war hellwach. Von draußen schallten Rufe, das Wiehern von Pferden war zu hören. »Welche Zelte?«
    »Die der Frauen - hinterm Kirschgarten - die Ritter helfen. Alle helfen. Kommt, das Pferd ist gesattelt!«
     
    Kilian ~48~ Bedingungen
     
    »Es war ein furchtbarer Anblick!« - Diesen Satz sagte Riwalin mehrmals hintereinander, als er Rual von dem Ereignis erzählte. Sie waren draußen am Wehrgang hinter der Burgmauer gewesen, nicht weit von Tristans späterem Versteck. Riwalin hatte den Ort gewählt, um Rual von dem »Ungeheuerlichen« zu berichten, das vor dem Kampf gegen Geiwan geschehen war. Niemand sollte zuhören können. Ein Gespräch unter Rittern, hatte Riwalin gesagt. Noch immer hatte er den Anblick der Frauen und Kinder vor Augen, die hinterm Kirschgarten verbrannt waren. Er hatte ihre Leichen gesehen, die versengten Kleider an ihren rußigen, aufgeschürften Armen. Viele waren in den brennend einstürzenden Zelten erstickt. Einige lagen noch auf ihrer Bettstatt oder was davon übrig geblieben war. Weil unter den Schlafstellen oft Stroh, zu Ballen verschnürt, und auch Holz für die Feuerstellen

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