Tristan
Netz hatte auswerfen müssen. Gewiss - das entsprach seinem Status, schließlich war erder König und nicht Tristan. Erhielt das Gesetz in der einzig einen, in seiner Hand. Aber was bedeutete das Recht und was das Empfinden?
Nur die Rechte galten! Marke stieß einen Seufzer aus. Und nach dem Gesetz hatte seine Frau ihm treu zu sein. Bisher, so viel konnte er bei gutem Gewissen allen sagen, war sie ihm stets ergeben gewesen. Er bekam seinen Beischlaf, und Isolde war niemals abweisend. Bisweilen auch kam die eine oder andere Magd zu ihm und legte sich auf sein Geheiß hin neben ihn, doch die Königin merkte nichts davon, wegen der getrennten Schlafkammern. Er, der König, wusste deshalb auch nicht, wie sich seine Frau zuweilen die Nächte vertrieb. Der Gedanke, dass sie mit Tristan beisammen sein könnte, war ihm schon gekommen, aber er hatte dabei auch den Kopf geschüttelt, um diese Vorstellung wieder loszuwerden. Tristan schien ihm zu ergeben und redlich für einen solchen Treuebruch.
Das Gerücht nun, von dem Marjodô gesprochen hatte, stach ihm tief ins Herz. Nachdem Marke mehrmals entlang des Tisches, auf dem die Pläne der Burg ausgelegt waren, auf und ab gegangen war, ließ er Isolde zu sich rufen.
Sie war kaum in der Tür erschienen, als er ihr eröffnete, er würde eine Wallfahrt unternehmen nach Glestingabury. Sieben Tage sei er unterwegs und müsse sie allein auf der Burg zurücklassen. Tristan solle während dieser Zeit das Reglement übernehmen. Was sie davon halte?
»Ein guter Gedanke«, sagte Isolde. »Wer wäre besser geeignet als Ritter Tristan, sich um Tintajol zu kümmern?«
Das war es. Mehr hatte Marke nicht hören wollen. Es war die Bestätigung der Nachrede. Er bedankte sich bei Isolde für ihre Einsichtigkeit.
Isolde lief gleich zu Brangsene und frohlockte: »Sieben Tage lang ist er weg. Dann ist Tristan hier der, der das Sagen hat. Wir können uns sehen, jeden Tag, zu jeder Stunde!«
Brangaene jedoch durchschaute sofort die listige Absicht Markes. Bei den Untergebenen des Königs fragte sie nach, ob solch eine Wallfahrt schon seit Längerem geplant sei. Niemand hatte bislang etwas davon gehört. Daher ersann sie umgehend eine Gegenlist. Isolde zog am gleichen Abend Marke in ihr Bett und teilte ihm mit, dass sie mit ihm auf die Wallfahrt kommen wolle. Marke erschrak. Warum? - Weil sie nicht mit Tristan als Burgherrn allein zurückbleiben wolle. - Aber er habe ihr doch immer nur Gutes getan!
»Gutes?« Isolde schien enttäuscht von Marke. »Hast du denn vergessen, dass er meinen Onkel umgebracht hat?«
Marke war erstaunt über diese Gefühlswallung. »Es war ein ritterlicher Kampf!«, sagte er zur Verteidigung Tristans. »Wir können es alle bezeugen.«
»Bezeugen? Ich habe mir den Platz zeigen lassen, auf dem du mit deinen Rittern und Baronen gesessen hast. Nichts konntet ihr sehen! Felsen haben euch die Sicht verstellt, und hinter diesen Felsen erfolgte der tödliche Schlag. Wen hatte er da versteckt? Zwei Gehilfen? Drei?«
»Worauf willst du hinaus?« Marke war ratlos.
»Worauf ich hinauswill? Dass du ein einziges Mal klar darüber nachdenkst, wer dieser Tristan ist, der sich mit seiner Verlogenheit ein ganzes Jahr in meiner Nähe als Tantris, der Sänger, aufgehalten hat. Ein Scharlatan? Der Sohn deiner Schwester? Die gestorben sein soll, als er zur Welt kam? Wer ist es in Wahrheit, dem du glaubst, Marke?« Isolde hatte sich im Bett aufgesetzt und beugte sich halb über ihn. Er lag auf dem Rücken und bekam es mit der Angst zu tun.
»Ich habe doch nur …«, begann er, um irgendetwas zu sagen.
»Du hast gar nichts!«, schnitt ihm Isolde das Wort ab. »Du bist ein Versager, der andere vorschickt, damit sie für dich das Eisen aus dem Feuer holen. Du hast diesen Tristan in Dienst genommen, damit er mich zu dir bringt. Du bist träge und selbstgefällig. Und jetzt willst du mich schutzlos seiner Obhut überlassen? Dann mach dich davon, geh auf Wallfahrt zu deiner Muttergottes oder ans Grab des heiligen Arthur und lass mich hier allein mit diesem herumschwänzelnden Hund, der mir irgendwann an die Kehle springen wird. Und einen guten Aufpasser hat er ja auch noch! «
»Wen meinst du?«
»Na, diesen Mönch, der mit jeder Kutte eine Nonne wechselt.«
»Courvenal?« Marke war völlig entgeistert.
»Weißt du denn nicht, wo der am liebsten ist? Wie er es am liebsten hat? - Ich zeig es dir!«
Isolde und Marke verbrachten eine gemeinsame Nacht, an die sich Marke lange erinnern
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