Tristan
vorbeischritt und Isolde davontrug, erkannte er in dem Spielmann Tristan wieder.
Isolde schmiegte sich an ihren Retter an und küsste ihn, verdeckt von einem Schleier, leidenschaftlich und dankbar auf den Hals. So brachte er sie zu Markes Reitern, die ihn und die Königin sogleich schützend umstellten, bis der König kam und seine Frau in die Arme schloss.
Gandin eilte auf sein Schiff. Marke machte sich mit Isolde sofort auf den Weg nach Tintajol. Tristan, dem er ewige Dankbarkeit schwor, suchte sein Pferd im Wald, wartete noch mit den Reitern, bis Gandins Schiff hinter den Felsen der Bucht verschwunden war, und kam erst spät in der Nacht in seine Kemenate zurück. Marjodô hatte noch ein Licht brennen und natürlich längst von allem gehört. Mit halb geschlossenen Augen sah er zu, wie sich Tristan seiner Spielmannskleidung entledigte. Zum einen fühlte er Bewunderung für diesen jungen Mann. Zum anderen …
Spuren im Schnee ~259~ Geräusche der Liebenden
Marjodô konnte nicht schlafen und stellte sich in dieser Nacht vor, was es bedeuten musste, die Königin - diese Königin -, dieses himmlische Wesen auf den Armen zu tragen und ihren Körper zu spüren.
Immer wenn Marjodô die Königin sah, verspürte er ein so übergroßes Verlangen nach dieser Frau, dass es ihm das ganze Blut in die Lenden trieb, vor allem da sie nun nicht mehr unschuldig war.
Der junge Ritter, der jetzt tief schlafend und erschöpft von seinen Taten auf dem Bett neben ihm lag, hatte dieses Glück genossen. Warum er?
Marjodô drehte sich auf die andere Seite. Die Gedanken irrten in seinem Kopf herum und quälten ihn. Von einem der Gelehrten, die König Marke aus fremden Landen bisweilen zur Zerstreuung vor allem in den Wintermonaten an den Hof holte, hatte er in einer declamatio gehört, es gäbe keinen Zufall. Alles sei Notwendigkeit. Demnach war es also notwendig gewesen, dass Tristan Morolt, den Onkel Isoldes, tötete, nach Irland fuhr, um sich von der Königin durch ein Gegengift heilen zu lassen gegen jenes, welches ihm die Königin zuvor selbst durch Morolts Schwert verabreicht hatte. Sollte es etwa ein Zufall gewesen sein, dass Tristan einen Drachen tötete, der aber nur ein Bär war, um für seinen König um Isoldes Hand anzuhalten? Und war es auch ein Zufall, dass Tristan einen ganzen Monat lang in Londres gewesen sein sollte und während dieses Monats die Königin fast ständig krank war und sie niemand am Hofe zu Gesicht bekommen hatte, nicht einmal der König selbst? War dies vom Zufall bestimmt - oder war es Notwendigkeit? Und wenn es Notwendigkeit gewesen war, wer anders konnte dahinterstecken als dieser junge Ritter und Fürst aus Parmenien, einem Land, das niemand kannte.
Marjodô wälzte sich auf seinem Lager. Gewiss war es ein Zufall, dass Gandin genau um diese Zeit nach Britannien gekommen war und Marke Tristan an seiner statt auf die Jagd geschickt hatte. Doch dass Marke Isolde wegen dessen Saitenspiel an Gandin verloren und Tristan die junge Königin durch dieselbe Kunst für Marke zurückgewonnen hatte - war dies auch ein Zufall? Durfte Tristan deshalb die Königin in so inniger Verbindung an sich drücken?
Zufall und Notwendigkeit - diese Wörter stritten in Marjodôs Kopf. Er lag bewegungslos auf seiner Bettstatt, als er merkte, dass Tristan unter seinen Fellen hervorkroch und die Kemenate verließ. Die Latrine war nicht weit. Bis Tristan zurückkehren würde, hielt Marjodô seine Augen geöffnet. Im Mondschein, der durch das Fenster traf, sah er auf seine Stundenuhr, die längst abgelaufen war. Er drehte sie um, und der Sand begann, aus der vollen Glasblase in die leere zu laufen. Marjodô dachte an Helen, mit der er in diesem Zimmer so überaus angenehme Abende verbracht hatte. Kaum sah sie den Sand rinnen, hatte sie sich ihm jedes Mal hemmungslos hingegeben. Nun gab es keine Gelegenheit mehr dazu, Tristan war aus Londres zurück. Marjodô war verärgert darüber, aber der starre Blick auf den rieselnden Sand ermüdete ihn, und er schlief ein.
Als er wieder erwachte, mochten im Stundenglas drei Teile der unteren Glasblase gefüllt sein. Tristans Lager war immer noch leer. Da zog sich Marjodô seine Kleider über und verließ den Raum. Trotz der Dunkelheit fand er den Ausgang aus dem Haus und erstaunte, weil Schnee gefallen war. Ein weißer, vom Halbmondlicht beschienener Teppich war über den Boden gebreitet und lag auf dem Weg, der zu einem von den Mönchen angelegten Garten führte. Und dort auf
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