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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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anführen? Keinen einzigen - Spuren im Schnee - und morgen schon war der Schnee verweht oder getaut.
    Als er dies dachte, hörte er, wie sich die Tür zur Kemenate leise öffnete. Marjodô simulierte ein Schnarchen. Tristan schlich zu seinem Lager, legte sich hin und schien sofort einzuschlafen.
    Marjodô blieb noch lange wach. Erst als das Morgen graute, schlief er ein. Bis dahin hatte er genug Zeit gehabt, um sich seinen Plan zurechtzulegen: Er würde ein Gerücht ausstreuen.
     
    Verdächtigungen ~260~ Liebkosungen
     
    »Mein König!«, so begann Marjodô seine Rede am nächsten Morgen. »Soweit ich sehe, geschieht auf dieser Feste alles zum Besten.« Marke wandte sich um. »Mein Truchsess!« Er war guter Stimmung, nachdem er eine angenehme Nacht mit Isolde verbracht und soeben Meister Farias, einen spanischen Bauleiter, der für die Südwestflanke der Burg zuständig war, aus einer Besprechung entlassen hatte. »Wie könntest du daran zweifeln? Komm, setzen wir uns. Tee wäre jetzt gut. Melisse!«
    Der Tee wurde gebracht. »Was willst du?«, fragte Marke geradeheraus. Er kannte seinen Truchsess, er hatte ihn eingesetzt und ihm Güter verschafft. Wenn man ein Bäumchen aus einem Samen zieht, dachte Marke, muss man darauf achten, wo es hinwächst. Was schon von selbst gewachsen ist, kann man nur beschneiden. Und ein Landadliger kann jeder sein, er darf sich sogar Baron nennen. - Der Tee schmeckte gut. Marke genoss das heiße aromatisierte Wasser, während ihm diese Gedanken durch den Kopf gingen. »Also, was nun?«, fragte er Marjodô nochmals.
    »Herr, es gehen Gerüchte um, von denen Ihr erfahren solltet.«
    »Aber ich halte nichts von Gerüchten. Sie entstehen aus Neid und Habsucht, haben meist keinen tiefen Grund, und oft entlarvt sich der, welcher die Gerüchte ausgestreut hat, als der wahrhaftig Bescholtene, der nur aus Feigheit zu vermeiden versuchte, öffentlich Klage zu führen. - Welche Gerüchte?«
    »Sie betreffen Euch und die Königin.«
    »In welcher Weise?« Nun wurde Marke doch hellhörig.
    »Man sagt«, Marjodô nahm seine Stimme zurück, als könnte jemand zuhören, dabei waren sie allein im Raum, »man sagt, Sir Tristan und Isolde hätten Intimitäten miteinander.«
    »Intimi - was?« Marke hatte nicht richtig verstanden.
    »Intimitäten.«
    »Was heißt das?« Marke sah Marjodô direkt in die Augen. Das brachte den Truchsess ins Wanken, doch nur einen Moment lang, danach fasste er sich und presste ein paar Worte hervor, die er so nicht hatte sagen wollen: »Man sagt, sie lägen bisweilen in einem Bett und erfreuten sich aneinander.« Es war heraus - Marjodô schwieg.
    Marke fand eine Weile lang keine Worte. Es war ihm anzusehen, dass er angestrengt nachdachte. Schließlich sagte er und fasste sich dabei ans Ohr: »Man soll nicht allem glauben, was man hört. Aber ich danke dir, Marjodô, dass ich davon erfahre, was man sich erzählt. Sollte es wahr sein, wäre diese Burg nicht länger wert, neu befestigt zu werden. Sollte es nicht wahr sein, wäret Ihr der Erste, den ich über die erhöhten Zinnen werfen lasse! Nein, nein - erschrick nicht, auch das ist nur ein Gerücht! Und jetzt entschuldigt mich, es gibt noch viel zu tun!«
    Marjodô verbeugte sich und zog sich zurück. Der Stachel, den er ins Fleisch des Fürsten hatte treiben wollen, schien gut platziert zu sein. Der König wechselte mehrmals die Anredeform Ihr und Euch ins du. Das widerfuhr Marke sonst nur, wenn er zu viel Wein getrunken hatte. Trotzdem war Marjodô froh, den Raum zu verlassen, und der König war erleichtert darüber, seinen Truchsess nicht länger sehen zu müssen. Er fasste sich wieder ans Ohr und rieb es. Ihm missfiel die hinterlistige Art und Weise, wie Marjodô ihn auf etwas hingewiesen hatte, was er schon längst ahnte, aber nie in Worten ausgedrückt hatte.
    Einer der Baumeister verlangte, den König zu sprechen, Marke wies ihn ab und vertröstete ihn auf später. Er musste jetzt allein sein und nachdenken. Gewiss war die enge Beziehung zwischen Isolde und Tristan für alle sichtbar. Tristan hatte sie für ihn, den König, erobert. Zwei Jahre waren darüber vergangen, und während dieser Zeit war Tristan häufig mit Isolde allein gewesen. Sie waren fast gleichen Alters, er hatte um sie geworben, um sie gekämpft, für sie gesungen. Er - Tristan. Und was hatte er - Marke - währenddessen getan? Auf seiner Burg war er geblieben, hatte gewartet, dass ihm das Meer den Fisch an Land spülte, ohne dass er ein einziges

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