Tristan
sei der Letzte. Noch an einem Stück Fleisch kauend betrat er den Saal, als alle anderen schon lagen und die Adern angeschnitten hatten.
Tristan begrüßte ihn freundlich wie immer, weil er an nichts anderes denken konnte, als dass dieser Aderlass endlich vorbei wäre.
Marke, auf dem Nachbarbett, war ungehalten. »Ad fine!« - mehr sagte er nicht, bis Marjodô wie die anderen versorgt war. Dann wandte er sich an Tristan und fragte ihn, wann er denn endlich in seinem Bericht bei dem Baron Wessely ankäme.
»Meine letzte große Station!«, sagte Tristan. »Umwerfend, es wurde eine Gastfreundlichkeit an den Tag gelegt, wie ich sie selten erlebt habe. Schon wie wir einritten …«
»Kürze ein wenig ab«, forderte Marke. »Wer war zum Essen anwesend?«
»Vor dem Mahl ist nach dem Mahl«, sagte Tristan daraufhin, einen Spruch, den er in Italien aufgeschnappt hatte. »Mir wurde ein eigenes Gemach zugewiesen mit einer Bettstatt dreimal so groß wie die, auf der ich hier liege.«
Diese Beschreibung weckte Markes Aufmerksamkeit. »Also nicht nur für dich?«, fragte er mit leiser Stimme nach.
»Offensichtlich ein Bett für ein vermähltes Paar«, sagte Tristan und hörte Isolde leise aufstöhnen. Der Bader lief gleich zu ihr.
»Erzähl mehr!« Marke schien unersättlich. »War die Tochter - wie heißt sie noch - anwesend?«
»Am Anfang nicht. Es wurde schon aufgetragen, da kam sie. Ihr Kleid …« Tristan tat so, als hätte er sich verschluckt. Er hustete.
»Was war mit ihrem Kleid?« Das war Isoldes Stimme, das erste Mal, dass sie während der Prozedur etwas sagte. Tristan schloss die Augen, so lieblich empfand er die Stimme, dass er sie in sich bewahren wollte.
»Ausgesuchte Stoffe.« Seine Stimme sollte nüchtern klingen, um Isolde zu reizen. »Damast, Seide und etwas, was ich bisher nicht kannte, etwas, was sich über den Schultern dehnt, wenn man sie bewegt.«
»Wie heißt der Stoff?« Wieder Isolde.
»Es geht hier nicht um Websorten!«, mischte sich Marke ein und richtete sich im Bett auf. »Wie war die Tochter, was ist dein Eindruck?«
»Augen«, sagte Tristan.
»Nie habe ich gewagt, zu lange in sie hineinzublicken.« Marke seufzte und sank auf sein Lager zurück.
»Augen?«, hörten sie alle nun Isolde rufen. »Was für Augen?«
Tristan schwieg eine Weile, rief nach dem Bader, ihn würde der Einschnitt schmerzen. Der Mann kam und untersuchte die Wunde, fand aber nichts Auffälliges.
»Es gibt Frauen«, sagte Marke, offensichtlich an Isolde gewandt, »die kann man nicht…«
»Was für Augen …?« Wieder schallte Isoldes Stimme durch den Raum, nur drängender als zuvor.
Tristan hätte aufjauchzen können vor Freude. Seine Isolde war eifersüchtig. Sie liebte ihn!
»Augen«, sagte er daher mit möglichst zurückhaltender Stimme, »in denen einem die Seele zu gefrieren scheint, wenn man in sie hineinblickt. Bis sie den Mund auff at und sagte …«
»Was?« Nun wurde Isolde immer ungeduldiger.
»Dass es heute kälter sei als gestern. Mehr hat sie nicht gesagt. Nicht einen Satz mehr, den ganzen Abend lang.«
Im Raum entstand ein Schweigen. Jeder schien etwas anderes zu denken, keiner wollte sich äußern. Der Bader kontrollierte die Schalen, in denen das Blut aufgefangen wurde, wechselte sie aus, riet den Herren und Damen langsam zum Rückzug, die Mägde ständen schon bereit, um die Böden zu wischen.
Da begann Tristan wie auf ein Stichwort hin, ausführlich von seiner Rückreise zu erzählen, von dem Sturm, in den sie unglücklicherweise geraten waren. Fluchtartig verließen daraufhin Marke und die anderen den Raum, nur Tristan und Isolde blieben.
Die Mägde kamen herein und begannen mit der Reinigung. Sie fingen mit den Ecken an, näherten sich den Fluren und streuten, wie vom Truchsess befohlen, zwischen den Betten Mehl aus. Dann zogen sie sich zurück.
Kaum waren die Türen geschlossen, verband sich Tristan den Arm und wollte zu Isolde eilen. Da entdeckte er das weiße Pulver auf dem Boden.
»Sie haben uns schon wieder eine Falle gestellt«, flüsterte er Isolde zu.
»Dann kommen wir heute nicht zueinander?!« Isolde schluchzte.
»Warum denn nicht?« Tristan sprang auf Markes Bett, zog den Vorhang beiseite und schätzte ab, wie weit der Abstand von diesem zu Isoldes Bett war.
»Das gelingt dir nie!«, beschwor ihn Isolde. »Du wirst ausrutschen und dir den Hals brechen!«
Doch Tristan nahm seine ganze Kraft zusammen. Er dachte an nichts anderes, als bei Isolde liegen zu wollen. Als sie
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