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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Tages pausbäckig und unerzogen vom Thron stieß und vielleicht gerade einmal elf oder zwölf Jahre alt war, ließ ihn schaudern. Französische Verhältnisse in Britannien?
    Einen solchen Einfluss wollte er nicht! Trotzig unterschrieb er das Dekret. Das Gottesurteil sollte durchgeführt werden. Als Ort war Caerleon vorgeschlagen. Auch das bestätigte er und setzte seine Siegel und Unterschriften. Was auch geschehen würde, er blickte mit jedem Dokument, das er absandte, über seine Zeit hinaus, unterschrieb, was erst noch geschrieben werden würde, fühlte, was noch nicht zu empfinden war, und fügte sich dadurch, wie er ahnte, Schmerzen zu, die ihn erst später zugrunde richten würden.
    Als alle Dokumente unterzeichnet und besiegelt waren, legte er die Urkunden beiseite. Da saß er nun, ein Mann um die vierzig Jahre, wie erst vor Kurzem der Truchsess sein Alter beziffert hatte, und fühlte, dass sein Leben dabei war zu vergehen, sich aufzulösen. Es schien nur noch Sinn zu haben, wenn er einem anderen schaden konnte. Warum aber sollte ich, fragte er sich und löschte eines der Lämpchen aus, meinem Neffen schaden wollen? Er hat mir meine Frau genommen, dachte er. Er hat sie mir gebracht und gleich wieder gestohlen.
    An seinem Lager zog sich Marke aus und das Hemd über den Kopf, das die Mägde ihm für die Nacht bereitgelegt hatten.
    Gehört sie mir?
    Er stieg ins Bett, deckte sich zu. Gehört sie ihm?
    Er legte den Kopf auf die Seite, wie er es gern tat, wenn er einschlafen wollte, und ließ die Tränen in das Kissen sickern. Am kommenden Morgen würde er den Boten mit der Urkunde nach Londres schicken. Zeit und Ort für das Gottesurteil waren bestätigt. Und auch die Art der Durchführung: Ein Schwert mit glühender Spitze wurde direkt aus dem Feuer genommen. Isolde musste die Schwertspitze in der Hand halten. Würde sie sich verbrennen, träfe sie alle Schuld, sie wäre geächtet! Er würde seine Frau nie wiedersehen. Das wäre sein eigener Tod.
    Aufstöhnend drehte sich Marke auf die andere Seite und schloss die Augen aus Angst vor der Dunkelheit, die in seinem Inneren bereits herrschte.
     
    Briefe schreiben ~273~ Briefe empfangen
     
    Da Isolde nun die meiste Zeit allein war, hatte sie Muße nachzudenken. Als Erstes schickte sie nach einem geistlichen Beistand. Ein Bruder Hieronymus erschien, ein Franziskaner. Erst ließ sie sich von ihm einweisen in Bußgebete und Abbitten. Dann horchte sie ihn aus über den usus des Gottesurteils. Als Drittes sandte sie eine Botschaft an Marke: Sie fordere an, dass ihr früherer Beichtvater aus Erui nach Cornwall geholt werde, Pater Benedictus, der Einzige, dem sie in der schweren Stunde vertrauen könne.
    Marke, der allein schon über ein Zeichen von Isolde erfreut war, gewährte ihr sofort die Bitte. Es wurden Boten ausgeschickt, um sich nach den nächsten Schiffspassagen nach Irland zu erkundigen und nach solchen, die zurück nach Cornwalls Küste kämen. Auch einer weiteren Bitte, dass Isolde nicht nur einen Brief an Benedictus mitsenden dürfe, sondern auch an ihre Mutter, gab er statt, immer in der Hoffnung, Isolde würde ihn eines Abends aufsuchen und ihm sagen, sie wäre dank ihrer Gebete von allem Übel befreit und würde zu ihm zurückkehren mit Leib und Seele.
    Als Isolde die Erlaubnis zu den Schreiben empfing, hatte sie die Schriftstücke schon längst aufgesetzt. Beide Büttenrollen waren in unverfänglichen Worten verfasst, zum einen der Abschied von der Mutter mit einer kurzen Schilderung dessen, was sie durch das Gottesurteil erwarten würde (»Ich werde mir die Hände verbrennen, das darf nicht geschehen«), zum anderen mit Hinweisen für Benedictus: »Bringt mir aus meiner Heimat den guten Geist der Sonne mit, dass sie mich vor ihrem Feuer auf Erden schütze, und steht meiner Mutter bei, wie Ihr es immer getan habt. Labt Euch an einem Becher Bier und trinkt auf mein Wohl!«
    Beide Briefe waren auf Eruisch geschrieben. Marke ließ sie sich übersetzen, fand darin weder einen Hinweis auf eine geheime Mitteilung noch Bemerkungen zur persönlichen Verfassung Isoldes, kein Wehklagen, kein Weinen, keine Anschuldigungen. Nur zwei Sätze, die in beiden Briefen auftauchten, beunruhigten ihn: »Ich bin unschuldig beschuldigt worden, als hätte ich Gift genommen, ohne zu wissen, dass es tödlich ist. Es muss wohl in einer sehr kleinen Flasche versteckt gewesen sein, die mir ein Spielmann zugesteckt hat, ohne zu wissen, was er tat.«
    Marke fand keinen Sinn in diesen

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