Tristan
uns gewonnen haben. Ich«, fügte er hinzu und begann erneut zu weinen, »werde nie anders können als dich lieben.«
Die Anklage ~272~ Das Gericht
Tristan und Isolde gingen von diesem Abend an getrennte Wege. Marke ließ Isoldes Gemach bewachen, keiner hatte Zutritt, von dem er nicht den Namen kannte. Auch Brangaene hatte stets eine Aufpasserin bei sich. Heimliche Nachrichten an Tristan zu schicken war unmöglich.
Währenddessen gingen die Bauarbeiten auf der Burg voran. Marke war meist unterwegs, um deren Fortschreiten in Augenschein zu nehmen. War er im Esssaal, saß er allein oder mit Marjodô am Tisch. War er in seinem Schlafgemach und ließ nach seiner Frau rufen, hieß es, sie fühle sich nicht wohl und käme nicht. Bald wurde ihm deutlich, dass er sich ins eigene Fleisch geschnitten hatte. Er vermisste auch Tristan und seinen Rat, seine Kenntnis im Lesen der Bücher und architektonischer Karten, sein abendliches Lautenspiel, seine Lieder, seinen Gesang, das Gespräch.
Sein Antrag, ein Gottesurteil zur Ausführung zu bringen, wurde vom Bischof in Londres geprüft. Da ja »Gott mit im Spiel« war, wie Courvenal später einmal bemerkte, mussten erst alle Einwände und historiae untersucht werden, bevor das Kuratorium einen Ort festlegte, wo die Prüfung stattfinden sollte.
Die Rechtslage war in diesem Fall äußerst schwierig. Sollte sich durch das Urteil erweisen, Isolde sei ihrem Gemahl untreu gewesen, wäre sie entehrt und ebenso enterbt. Die Worte standen in dem Schreiben, das der Bischof an Marke übermitteln ließ, dicht nebeneinander. Tristan als der Verursacher des divortium würde ebenfalls alle Rechte verlieren und müsste sofort des Landes verwiesen werden, er konnte auch nicht mehr Fürst von Parmenien sein, weil er alle Lehen an den königlich englischen Hof zurückgeben müsste.
In dem bischöflichen Schreiben wurden aber auch die Bedenken der heiligen Kirche geäußert, dass bis auf den Tag durch Isolde kein Nachfolger auf den Thron zur Welt gebracht worden war. Wie ein seichter Fluss schlängelten sich Fürsorglichkeiten und Vorhaltungen durch das Schriftstück des Bischofs. Da Cornwall unter guter Führung war, hieß es noch darin, sei doch überlegenswert, alles beim Alten zu belassen. Wo nichts schadhaft sei, solle man auch keinen Schaden verursachen. Durch die Vermählung mit Isolde sei außerdem, ganz im Interesse der Kirche Petri, die päpstliche Allianz mit Irland gefestigt worden. Sollte hingegen die Königin Cornwalls durch das Urteil gestraft werden, könnten alte Wunden wieder aufbrechen und »viel Gutes, was inzwischen geschehen, zunichtemachen«. Marke wurde eine halbmonatliche Frist gesetzt, von seinem Antrag wieder zurückzutreten.
Als Marke das Schreiben des Bischofs erhielt und sich vom Kämmerer vorlesen ließ, erfasste ihn Unruhe. Wenn er es recht bedachte, konnte er sich über seine Frau nicht beklagen. Sie tat ihm alle Dienste, die er von ihr verlangte. So nahm er sie manchmal auch, wenn sie auf dem Bauch lag, und sie ließ es mit sich geschehen. Er spürte zwar, dass ihr diese Haltung nicht besonders zusagte, sie sei doch keine Ziege oder Kuh, sagte sie dann, aber sie hinderte ihn nicht daran. Was ihn erboste, war eher die Beliebigkeit, das Erdulden seines Beischlafs und das Faktum, dass ihr Bauch nicht wuchs. Doch auch ihrer Unfruchtbarkeit gegenüber war er gespalten.
Wenn Marke nachts einsam in seiner Kemenate saß, musste er sich eingestehen, dass er Kinder eigentlich gar nicht haben wollte. Hätte Isolde eines von ihm empfangen, hätte er es hingenommen. Ob er es lieben würde, wusste er nicht. Seine Väter hatten ihn gelehrt, dass ein Mensch in seinen Nachkommen weiterlebt. Diese stifteten die Tradition, und Tradition bedeute die Stärke der Heranwachsenden. Vielleicht war er noch zu jung gewesen, als er die Gewalt über Cornwall hatte übernehmen müssen, ein halbes Kind noch. Er hätte, gestand er sich ein, die Herrschaftsgewalt nicht ausüben können ohne seine Mutter und später seine Schwester Blancheflur. Alles war gut gegangen, bis der Parmenier gekommen war, Riwalin, und ihm seine Schwester entführte - in den Tod. Und dessen Sohn hinterging ihn, Marke, den König von Cornwall, nun mit seiner Frau, die er ohne Tristan nie bekommen hätte! Wie sollte eine solche Historie Traditionen stiften?, dachte Marke und starrte in die blakende Flamme eines Öllämpchens. Dass Tristan ein Kind mit Isolde zeugte, einen Bastard, der ihn, den König, eines
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