Tristan
hingegen stöhnte auf und murmelte leise vor sich hin: »Elend muss man nur einmal schildern, es sieht überall gleich aus.«
Der erste Tag des Aderlasses, an dem der Harfner einen Großteil der Zeit für seine Lieder beanspruchte, verlief so, wie man es am Hofe von jeher kannte. Nach dem Waschen traf man sich zum gemeinsamen Mahl, danach suchte jeder seine Kemenate auf. Marjodô war erschöpft und schlief bald ein. Tristan lag noch eine Weile wach und starrte in die Dunkelheit des Raumes, vor seinen Augen stand das Bild Isoldes, die er so lange nicht gesehen hatte. Nur ab und zu hatten sie beim Essen einen Blick gewechselt, wenn auch nur flüchtig. Doch diese wenigen Blicke genügten ihm, um zu spüren, wie nah sie ihm war, und wenn er unter der Decke seine Lenden berührte, tat er es nicht mit seinen, sondern mit ihren Händen.
Anderntags, am späten Morgen, begann der Harfner erneut zu spielen - die gleichen Lieder, die sie alle schon gestern gehört hatten. Nach dem dritten Gesang stöhnte Marjodô auf. Er habe nun genug davon. Marke bekräftigte seinen Einwurf, schickte den Harfner weg und sagte: »Jetzt erzähle endlich, Tristan!«
Der ließ sich nicht lange bitten. Die Worte kamen ihm aus dem Mund, als würde er sie aus einem Buch ablesen. Weil sie ja nur für Isolde bestimmt waren und er ihre feinen Sinne kannte, verfiel er manches Mal in den Reim, bildete die kurzen Sätze rhythmisch, so wie er es bei den großen Dichtern Germaniens und der Franken gelesen hatte. Es war ihm eine Lust zu improvisieren, eine Lust, die Marjodô schnell zur Last wurde, während Marke ihn immer wieder einmal unterbrach und fragte, ob er denn auch bei Lord Wessely gewesen sei.
»Aber ja«, antwortete Tristan, »doch bis dahin sind es noch viele Stationen, und Ihr habt mich doch darum gebeten, keine auszulassen.«
»Natürlich«, bemerkte Marke dazu und spürte, dass er müde wurde. Er verlangte nach dem Bader, er solle ihm die Ader verschließen, für heute sei es genug. Marjodô stimmte gleich mit Marke überein. Ob nicht auch Isolde sich ausruhen wolle, fragte Marke durch den Vorhang.
Bei ihr sei es noch nicht so weit, sie könne noch eine Weile liegen bleiben. Tristan solle solange mit seinem Bericht fortfahren.
Marke horchte auf. Da aber noch der Burgvogt und der Kämmerer auf ihren Betten lagen, erblickte er keine Gefahr darin, dass Tristan und Isolde unbeaufsichtigt zurückblieben. Tristan begann auch schon mit der nächsten Episode, die am Hofe des Lord Drake spielte, wo ihm eine Sammlung von Miniaturschiffen vorgeführt worden war, wie er sie niemals erwartet hätte.
Marke und Marjodô verließen den Raum, der Marschall und der Kämmerer warteten noch eine Weile ab, dann riefen auch sie den Bader, und unversehens blieben Tristan und Isolde allein zurück. Es kamen Mägde zu Isolde, um sie nach ihrem Befinden zu fragen. Sie schickte sie weg, es sei alles gut. Tristan sprach weiter vor sich hin.
Als er hörte, wie sich die Tür hinter der letzten Magd schloss, verstummte er. Plötzlich war es still. »Es ist niemand mehr da«, flüsterte er.
»Ich weiß«, kam es hinter dem Vorhang zurück.
Genauso wie der Bader es bei ihm am Tag zuvor gehandhabt hatte, legte er sich schnell einen Verband um die Wunde, sprang aus dem Bett, fühlte einen leichten Schwindel, lief um den Vorhang herum, und schon stand er neben Isolde. Rasch entfernte er bei ihr die Schale, in der das Blut aufgefangen wurde, verband den Arm, wühlte sich unter das linnene Betttuch und legte sich neben sie, schob sich an sie heran, liebkoste und küsste sie, und sie konnten ihr Glück kaum fassen.
Marjodôs Entdeckung ~270~ DieAbmachung
Am nächsten Abend spielten sie die gleiche farce. Wieder lagen sie beieinander, nachdem die anderen, geschwächt durch das verlorene Blut und ermüdet von Tristans Berichten, den Saal verlassen hatten. Unglücklicherweise kehrte Marjodô noch einmal in den Raum zurück, weil der Bader ihm seine Halskette abgenommen hatte, um eine kleine Ader am Kopf anzuzapfen. Die Kette war eine Kriegsbeute, Marjodô trug sie voller Stolz. Ohne sie konnte er sich nicht zur Ruhe betten.
Als er den Saal betrat, wunderte er sich, wie still es darin war. Tristan hatte das Geräusch der Tür gehört und Isolde sofort seine Hand auf den Mund gelegt, aus dem eben noch die lustvollsten Laute ihres Wohlgefühls gedrungen waren.
Mit Erstaunen bemerkte Marjodô, dass Tristans Bett leer und der Vorhang vor Isoldes Lager immer noch
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