Tristan
Braut zugeführt hatte, »wobei ich selbst nicht ganz unbeteiligt war«, fügte Lord Wessely mit einem etwas süffisanten Lächeln hinzu, bevor er mit einer Lobpreisung des römischen Papstes schloss.
Er setzte sich, es wurde geklatscht, und jetzt erst blickte Wesselys Tochter auf und Tristan direkt in die Augen. Dieser Blick überwältigte ihn. Er glaubte, in ein Meer aus Eis einzutauchen. An etwas anderes konnte er nicht denken. Und wie die Hände an Eiszapfen festfrieren können, so war es ihm unmöglich, seinen Blick von diesen Augen wegzulenken. Er schluckte mehrmals, half sich schließlich, indem er das Glas nahm und den süßen Wein trank, den Kopf dabei in den Nacken gelegt, und so dem Blick entfloh.
Von da an vermied er es, noch ein einziges Mal sein Gegenüber anzusehen. Schweiß trat ihm auf die Stirn, wenn er nur daran dachte. Das ebenmäßige Gesicht, die zarte Haut, engelhaftes Haar und diese Augen - so etwas gab es nur bei Göttinnen oder Feen, die noch nie jemand wahrhaftig gesehen hatte. Dabei spürte er, dass ihn die Tochter weiter anstarrte, während er bemüht war, sich mit seinen Nachbarn rechts und links zu unterhalten.
Plötzlich sagte eine weibliche Stimme, hoch und dünn, es sei heute kälter als gestern. Es musste die Stimme der Tochter sein, Tristan spürte fast ihren Atem, den sie mit den belanglosen Worten ausstieß. Er sah auf, blickte sie an. Sie lächelte einfältig, wartete auf Zuspruch, und plötzlich war jedes Geheimnis von ihr gewichen.
Tristan atmete erleichtert auf. Angst war in ihm hochgestiegen, es könnte noch eine andere Frau geben neben Isolde, die ihn in seinen Bann ziehen würde. Diese Angst war verflogen. Glücklich lag er später in seinem Bett, das wohl für ihn und die Tochter gedacht war.
Anderntags wurde schnell aufgesattelt. Tatsächlich kündigte sich Regen an, und es hieß, man solle sich beeilen, um nach Tintajol zurückzukehren. Der Burgherr war voller Bedauern über die überstürzte Abreise. Tristan versicherte, den Besuch zu wiederholen, und ließ sich bei der Jungfrau empfehlen, »die Schönste im Land - nach der Königin«.
Lord Wessely vernahm diese Bemerkung mit hämischer Genugtuung. Sie bestätigte, was alle über seine Tochter sagten: Sie sei es doch eigentlich, die für den König als Braut geboren worden war. Andererseits bestätigten Tristans Worte die Gerüchte, denen nach Markes Neffe Isolde so sehr schätze, dass er ihr wohl verfallen war wie sie ihm.
»Kommt gut nach Tintajol!«, rief Lord Wessely Tristan nach und rieb sich die Hände. Es war tatsächlich kälter geworden.
Der Aderlass ~269~ Hinter dem Vorhang
Als Tristan nach Tintajol zurückkehrte, wurde dort, wie jedes Jahr vor Beginn i des Lenzes und abhängig vom Stand des Mondes, zur Ader gelassen. Diese Prozedur, bei der die Blutläufe an den Armen, Beinen, manchmal auch am Kopf und in der Lende von einem Bader mit einem feinen Messer aufgeschlitzt wurden, zog sich über mehrere Tage hin. In einem der größeren Säle der Burg wurden Betten aufgestellt, die Herrschaften lagen nebeneinander aufgereiht, der Blick zu den Frauen war mit Vorhängen verstellt. Während, vor und nach dem Aderlass gab es besonders gut schmeckende Speisen. Es waren auch Harfner zugegen und vertrieben den Liegenden die Zeit mit ihren Liedern. Vor allem aber gab es bei dieser Reinigung des Körpers von Giften, Krankheiten und auch schlechten Gedanken genug Gelegenheiten, sich zu unterhalten.
Tristan hatte sein Lager neben dem Markes, links von ihm war der Truchsess, während der König vom Bett Isoldes, die rechts von ihm lag, durch ein bis zum Boden reichendes Tuch getrennt war.
Dass Tristan von seiner Reise noch rechzeitig vor der Behandlung zurückgekehrt war, freute Marke besonders: »Dann kannst du mir dabei alles berichten, was du erlebt und gesehen hast!«
Diesem Wunsch kam Tristan gern nach und schmückte seine Schilderungen mit aller Kunst der Wortwahl aus, die er sich durch das Studium der Bücher angeeignet hatte. Er tat dies vor allem, weil er wusste, dass auch Isolde seinen Darstellungen lauschte. Jedes seiner Worte sandte er über Marke hinweg durch den Vorhang in der Geliebten Ohr und bemerkte gleich zu Anfang, dass er nicht nur Erbauliches erlebt habe, sondern ebenso sehr die weniger schönen Seiten des Lebens, an denen er vorbeigeritten sei. Ob Marke denn auch das hören wolle?
»O ja, unbedingt«, kam es von Isoldes Lager zurück, bevor Marke antworten konnte.
Marjodô
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