Tristan
gelagert waren, hatten sich die Frauen und ihre Liebhaber vor den plötzlich unter ihnen hervorlodernden Flammen nicht mehr retten können. Jetzt lagen sie da mit von sich gestreckten Armen und angezogenen Beinen, wie zum Sprung bereit, in der Hoffnung, jemand würde sie auffangen. Doch jede Hilfe kam zu spät. Als Riwalin und Bodan in der Morgendämmerung das verwüstete Zeltlager erreichten, brachten sie kein Wort heraus.
»Wahrlich ein Grauen«, hatte Riwalin sich erinnernd zu Rual gesagt, während er seinen Blick abwandte. »Ich hatte nichts damit zu tun«, versicherte er ihm leise. »In meinem kurzen Leben habe ich so manchen Toten gesehen, aus dem noch das Blut sickerte. Doch es gibt nichts Schlimmeres als den Anblick halb verkohlter Leichen. Und wenn du am Weg Kinder siehst, Mädchen, die fliehen wollten, und in ihrem Rücken steckt der Schaft einer Lanze, damit sie, aufgespießt wie Tiere, niemandem etwas berichten können, zeigt sich die wahre Natur des Mannes, der, blind geworden, tötet aus Hass darüber, dass er lebt.«
Riwalin hatte sich an die Burgmauer gelehnt, Rual hörte ihn schluchzen. Als sich sein Herr wieder gefangen hatte, erzählte er ihm in knappen Worten, wie er zurückkehrte zum Lager der Ritter, wie er sich in seinem Zelt wusch, mit neuen Kleidern versah und plötzlich die Zeltbahn des Eingangs aufgestoßen wurde. Unter lauten Rufen lief ein junger Mann mit strauchelnden Schritten auf ihn zu, konnte das Gleichgewicht nicht halten und stürzte vor seinem Tisch nieder. Hinter ihm tauchte Bodan auf, bewaffnet mit einem Schwert, dessen Spitze er dem anderen gegen den Nacken hielt. Riwalin war aufgesprungen und hatte seinen Dolch gezogen. Da er aber sah, dass Bodan den Eindringling in Schach hielt, setzte er sich wieder und befahl, dass sich alle beruhigen sollten. Der junge Mann, der auf dem Boden lag, erhob sich, und Riwalin erkannte ihn sofort.
»Du bist Kilian«, sagte er.
»Ja, mein Herr.«
»Und du bist gekommen, um mich zu ermorden?«
»Nein, mein Herr.« Kilian konnte ein leises, glückliches Lachen nicht unterdrücken, denn er fühlte sich ertappt und zugleich verstanden. »Euer Knappe«, sagte er und verdrehte dabei schelmisch die Augen, »glaubte wohl, ich hätte einen Anschlag auf Euch vor, nur weil ich an seiner Herrlichkeit vorbeiging direkt auf Euer Zelt zu.«
Riwalin gefiel, wie dieser junge Mann zu ihm sprach. Er musste lächeln und gab ihm damit die Gewissheit, dass er ihm gewogen war. Zugleich gab er Bodan durch einen Wink den Befehl, sich zurückzuziehen. Da sie nun allein waren, sah sich Riwalin den Knappen genauer an. Er verspürte eine Zuneigung zu ihm, weil er ihn an sich selbst erinnerte. Dieser Kilian stand vor ihm wie ein Ebenbild aus seinen eigenen noch ganz jungen Jahren, schüchtern, wohl gewachsen, mit einem listigen Blick in den Augen und zugleich auch etwas verheimlichend.
»Was willst du?«, sagte Riwalin geradeheraus.
»Drei silberne Heller.«
»Woher weißt du, dass ich so viel fremdländische Münzen besitze?«
»Findennisch hat es mir erzählt.«
»Findennisch ist tot.«
»Seine Münzen leben weiter.«
Riwalin lehnte sich auf seiner Bank zurück. »Drei Heller«, sagte er. »Das ist viel. Dafür musst du mir etwas bieten.« Er legte eine Pause ein, als würde er überlegen, wusste aber schon längst, womit er den Knappen aus Markes Gefolge prüfen würde. »Wer hat den Brand gelegt?«, schoss es plötzlich aus ihm heraus.
Mit dieser Frage schien Kilian nicht gerechnet zu haben. Das selbstzufriedene Grinsen, das er nach den Bestätigungen durch Riwalin aufgesetzt hatte, verflog. Er ahnte den Misserfolg seiner Mission und stammelte: »Worüber sprecht Ihr?«
»Das weißt du genau.«
»Man sagt, eine Horde Plünderer …«
»Ich will nicht wissen, was man sagt!«, schrie Riwalin ihn an. »Ich will wissen, wer es war!«
»Die Schwester des Königs soll…«
»Dummes Geschwätz«, unterbrach ihn Riwalin. Eilig machte er ein paar Schritte in den hinteren Teil des Zelts. Am liebsten hätte er sich die Ohren zugehalten. Der Knabe sprach aus, was er vermutete. Doch niemand durfte die Schwester des Königs beschuldigen.
»Jetzt sag, wofür du die drei Heller haben willst.«
»Es geht um Ritter Geiwan.«
Nun kehrte Riwalin zu dem Knappen zurück und hörte, was der zu berichten hatte. Dann gab er ihm wortlos die Münzen und rief nach Bodan, der Kilian nach draußen begleiten sollte. Riwalin wusste genug. Geiwan war an der linken Schulter
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