Tristan
wollen ja eher die Wahrheit prüfen als den Fehltritt eines« - sie suchte nach einem Wort - »eines Verirrten. Ihr verlangt von mir, dass ein glühendes Eisen mir die Hand verbrennt, mit der ich meinem Gemahl und König die Treue versprochen habe. Nun, so sei es.«
Isolde trat zu dem Glutkessel und nickte dem Schmied zu. Der zog mit einer langen Zange das Schwert aus dem Kohlehaufen und hielt es Isolde mit dem Griff entgegen. Sie umfasste ihn mit der linken Hand und hob das Schwert an, zeigte der Versammlung dessen weißglühende Spitze, legte langsam ihre rechte Hand darauf und schloss die Finger. Die Anwesenden stöhnten auf. Isolde hob und senkte das Schwert, drehte sich einmal um sich selbst, damit alle sehen konnten, was sie vollbrachte, und rief dabei aus: »Ist es das, was ihr gewollt habt?« Sie verneigte sich leicht vor dem Bischof, dem kirchlichen Rat und den Fürsten, gab dem Schmied das Schwert zurück, verbeugte sich erneut und streifte dabei unauffällig die Handschuhe ab, steckte sie in ihr Brustkleid und trat vor den Rat mit ausgestreckten Händen, die bis auf wenige gerötete Stellen völlig unversehrt schienen. »Nun überzeugt Euch selbst!«, sagte sie. »Ist irgendetwas verbrannt? Nein? Nicht? Habt Ihr Euch etwa selbst verbrannt? Zeigt Eure Hände!«
Isolde lachte höhnisch. »Vergesst nicht«, sagte sie, »ich bin eine eruische Königstochter. Euer Gott hat mich nicht bestraft, weil es nichts zu bestrafen gibt. Ich ehre meinen König und Gemahl, wie Ihr es wahrscheinlich ebenso haltet.« Nun drehte sie sich zu den Zuschauern um. »Und ihr, habt ihr immer noch Bedenken gegenüber eurer Königin? Sehe ich ungläubige Blicke? Wollt ihr alle, dass ich euch meine Hände zeige? Hier sind sie.« Mit diesen Worten schritt sie die erste Reihe der vor ihr Sitzenden ab und streckte den kirchlichen Würdenträgern, den Baronen, ihren Gemahlinnen und ihrem eigenen Mann die Hände in aller Offenheit entgegen. Nachdem sich das Staunen gelegt hatte, wandte sie sich wieder den bischöflichen Richtern zu, nahm dem Schmied die Zange aus den Händen, in der noch immer das Schwert eingeklemmt war, und hielt es mit seiner glühenden Spitze den Papstvertretern entgegen. »Jetzt dürft Ihr es anfassen!«, rief sie, sodass es im ganzen Saal hörbar war. »Langt zu, streckt Eure Hände aus! Ihr seid doch die Unschuld in personae, was kann Euch denn passieren? Über Euch hat Euer Gott längst sein Urteil gefällt. Hier, nimm, das Eisen dunkelt sich schon ein!«, schrie sie den Bischof von Londres an. »Du willst nicht? Keinen Mut?« Sie lachte heiser auf und stieß ihm zischelnd entgegen: »Dann scher dich zum Teufel - abi in malam rem!«
Mit diesen Worten warf Isolde Zange und Schwert von sich und verließ die Versammlung. Sie hakte sich bei Genifer unter, die ihr entgegengeeilt war, und ließ sich von ihr mehr stützen als führen. In einer Flurnische tauchte sie ihre sich noch von der Gluthitze des Eisens taub anfühlenden Hände in einen Bottich mit kaltem Wasser und hauchte, Schmerzenstränen in den Augen, der Zofe ins Ohr: »Wo ist er?«.
»Wen meint Ihr?«
Da erst fiel ihr ein, dass sie mit Genifer ja nicht offen reden konnte.
»Gott«, sagte sie deshalb.
»Oder Tristan?« Genifer wagte diese Frage.
»Du bist auf meiner Seite?«, fragte Isolde.
»Und werde es immer sein.«
Die beiden Frauen lagen sich in den Armen. Isolde spürte nun erst ihre Erschöpfung, die Kraft, die es sie gekostet hatte, dieses Urteil von sich abzuwenden.
»Bring mich an einen ruhigen Ort«, bat sie.
»Der König hat angeordnet, gleich zurück aufs Schiff.«
»Dann folgen wir dem Befehl des Königs. Er hat auch angeordnet, mich zu foltern. Und ich ordne hiermit an, ihn in den nächsten Tagen nicht mehr sehen zu wollen. Denn ich bin die Königin.«
Genifer kicherte vor sich hin. »Brangaene wird sich freuen«, sagte sie, »wenn sie von alldem hört.«
»Ihr steckt unter einer Decke?«
»Unter einer Decke, unter der wir uns sogar schon gegenseitig wärmten. Die Kälte der Gotteskirche ließ uns keine andere Wahl.«
Isolde war glücklich über dieses kleine Gespräch. Sie kehrte gern auf das Schiff zurück, verbarg sich gleich unter Deck und warf vorher noch die Handschuhe, die ihr und Tristan das Leben gerettet hatten, über Bord ins schwappende Wasser.
Tristan, dachte sie, wo ist er jetzt? Und Benedictus? Sie freute sich darauf, ihn wiederzusehen, und konnte nicht ahnen, dass dies niemals mehr geschehen
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