Tristan
Dankbare
Die Königin befand sich in einem Zustand, dass alle bestrebt waren, ihre Gegenwart zu meiden. Brangaene hatte längst für sich einen Schlafsaal gefunden, der am anderen Ende des Flurs bei den Mägden lag. Mit Isolde war kein Auskommen mehr. Selbst Genifer, nach Brangaene Isoldes liebste Zofe, drückte sich stets in der Nähe der Tür herum, um möglichst schnell entfliehen zu können. Als nun Helen und der Mönch eintraten, legte die Frau des Jagdmeisters rasch die Kleider auf einen Hocker und verabschiedete sich von Benedictus mit den Worten, sie habe jetzt einen Tag frei.
Benedictus war wie angewurzelt stehen geblieben, ließ sich jedoch von Isoldes Verhalten und Aussehen nicht beeindrucken. Er setzte sich auf einen Stuhl und streckte sogar die Beine von sich. »Beruhige dich!«, sagte er leise. »Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Keine Angst? Wer bist du, dass du so mit mir sprechen darfst?« Isolde stürmte auf ihn zu in ihrem schlichten Nachtkleid und erschien ihm schöner als jede andere Frau in Gold und Brokat. »Keine Angst? Noch kurze Zeit, dann bin ich tot!«
»Was meinst du, warum ich hier bin? Isôt!«
Als sie sich bei ihrem Kindnamen angesprochen hörte, schien sie aufzuwachen. »Benedictus!«
»Immer noch derselbe! Doch bevor ich Euch all die lieben Grüße übermittle, die mir für Euch mitgegeben worden sind, bitte ich Euch inständig, ob Ihr mir etwas zu essen und zu trinken bringen lassen könnt! Denn seitdem ich auf Tintajol bin …«
Der Mönch kam nicht weiter. Isolde rief schon in ihrer Freude nach Genifer, bestellte Käse, Gedörrtes, Brot und Bier. »Ja, Bier!«, wiederholte sie, als die Zofe zurückfragte. »Und gleich zwei Becher! - Benedictus«, sagte sie dann, kniete vor dem Mönch nieder und weinte in seine Kutte, »dich schickt der Himmel!«
»Nicht ganz.« Der Mönch half Isolde aufzustehen. »Es war Eure Mutter.«
»Sie liebt mich also noch?«
»Auf ihre Art. Ihr kennt sie besser als ich.«
»Hat sie dir etwas mitgegeben?« Isolde stand vor ihm mit aufgerissenen Augen. »Einen Balsam, eine Tinktur, Tropfen, einen doppelten Liebestrank, um diese päpstlichen Scharlatane zu betäuben, ist es das?«
»Beruhigt Euch!«
»Nicht >Euch<, sag >du<, sag, was es ist!«
»Ich bin hier, um dir die Beichte abzunehmen.«
»Die Beichte? Ist das alles? Ich habe nichts zu beichten!«
»Aber wenn du beichtest, hört niemand anders zu.«
Isolde war so außer sich, dass sie Benedictus’ Antwort erst nach einigen Augenblicken verstand. Sie blickte ihn an, er zwinkerte ihr zu.
»Wann beginnen wir mit der Beichte?«, wollte sie wissen und setzte sich ihm gegenüber.
»Nachdem ich etwas gegessen und getrunken habe!«
Erui zuerst ~278~ dann Britannien
In der folgenden Zeit nahm Benedictus Isolde so viele Beichten ab, wie es Tage waren, die ihnen bis zum Gottesurteil verblieben. Er war wie eine Taube, die zwischen Isolde und Tristan hin- und herflog, um Nachrichten und Absprachen zu überbringen.
Wenn die beiden nicht beichteten, hielt sich Benedictus entweder im Esssaal oder in der Kapelle auf. Dort kniete er sich die Beine wund, um den Anschein zu erwecken, er wäre nur damit beschäftigt, Gott ein Ave Maria nach dem anderen in den Himmel zu schicken. Über sein Verhalten machte er sich selbst lustig und bemerkte lächelnd, Gott sei in Cornwall wohl nur schwer zu erreichen, weil man ihn kaum zu Gesicht bekomme, da es unentwegt regne. Doch der Plan, den die drei schmiedeten, nahm immer mehr Gestalt an.
Benedictus war der Vermittler zwischen Isolde und Tristan. Nebenbei bereitete er alles für sein eigenes zukünftiges Leben vor. Deshalb war er einige Male unten an der Küste in Seaford gewesen und hatte das Boot beladen lassen, das ihn wieder zurückbringen sollte. Der Schiffsführer fragte sich, was all die Güter an Bord zu suchen hatten, Pflanzensamen, Werkzeuge, Öl, Kerzen, die sie in Erui über eigene Handelsverbindungen zur Genüge geliefert bekamen. Benedictus sagte wiederholt, er handle im Auftrag der Königin, und bezahlte in barer Münze, was den Kapitän letztlich überzeugte.
Als das Schiff bis zur Bordkante beladen war, hieß es, man würde aufbrechen nach Caerleon. Benedictus erschien gegen Mittag und befahl dem Bootsführer abzulegen. Da zwängte sich zwischen den Lastträgern ein Pilger hindurch, der darum bat, mitfahren zu dürfen. Benedictus fragte ihn nach seinem Ziel. Campostella, sagte der Pilger. Benedictus darauf: Das sei aber sehr
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