Tristan
war mehr als erstaunt, verblieb aber immer noch in seiner Pilgerhaltung mit nach vorn gebeugtem Kopf.
»Du riechst zu gut! Lavendel und Thymian - damit hast du dich eingerieben. Ich rieche sogar saboon.«
Dieses Wort wirkte auf Tristan. Er drehte sich um und sah der Frau ins Gesicht. Er kannte sie nicht. Sie schlug gleich die Augen nieder.
»Vertraust du mir jetzt?«, fragte sie.
»Courvenal?«, sagte Tristan.
Die Frau fing an zu lachen. »Nennt er sich so? Für mich heißt er Cur di Venali, ein Graf aus Italien. Jedenfalls hat er dich mir genauso beschrieben, wie du bist, störrisch und einfühlsam, und mich geschickt, dir zu helfen. Komm mit!«
Wie eine Mutter ihr Kind nahm sie Tristan an der Hand, zog ihn durch die Gassen, und sie gelangten an einen Pferdestall. »Der zweite Gaul dort ist der deine. Du sollst dich beeilen. Von hier aus dem Weg folgen. An den Abzweigungen warten Knappen auf dich, denen du folgst. Viel Glück!«
Mit diesen Worten verschwand die Unbekannte.
Courvenal!, dachte Tristan. Wie wenig hatte er sich in den letzten Monaten darum gekümmert, wie es ihm ergangen war. Ihre Freundschaft war getrübt, was auf ihn, Tristan, selbst zurückzuführen war. Er gestand es sich reumütig ein. Unter dem ständigen Zwang lebend, die Liebe zu Isolde verbergen zu müssen, hatte er sich von allen möglichen Zeugen ferngehalten - sogar von Courvenal. Er hatte ihn manchmal während des gemeinsamen Abendessens gesehen und auch davon gehört, dass Marke dem Mönch ein kleines Anwesen zugewiesen hatte, auf dem er sich wohl die meiste Zeit aufhielt. Ansonsten waren sich Tristan und Courvenal aus dem Weg gegangen. Je weniger er von seinem Lehrer hörte, desto weniger würde auch sein Lehrer, so hatte Tristan gedacht, über ihn erfahren. Wie sehr hatte er sich getäuscht!
Nun hielt Courvenal Pferde für ihn bereit, hatte Knappen und Waldläufer bezahlt, die Tristan auch während der Nacht durch die Wälder führten, indem sie ihm den Weg wiesen. Daher sah Tristan schon am nächsten Morgen die Hügel mit der Burg Tintajol vor sich.
Der Knappe, der ihn auf dem letzten Abschnitt geführt hatte, hieß Eric. Tristan bedankte sich bei ihm, den Rest des Weges würde er allein finden. Eric aber wandte ein, er habe andere Weisung erhalten, der Herr solle ihm gnädigst folgen.
Tristan ritt in ein Waldstück hinein, das ihm bekannt erschien. Bei einem Gebüsch stieg Eric vom Pferd, wischte mit den Stiefeln Laub beiseite und öffnete eine Falltür. »Es sind Lämpchen aufgestellt«, sagte er leise. »Folgt dem Gang und löscht die Lichter hinter Euch. Ihr werdet alles wiedererkennen, hat man mir gesagt. Ich verschließe den geheimen Austritt hinter Euch und beschwere ihn wieder. Es gibt also kein Zurück mehr. Und noch etwas soll ich Euch sagen« - Eric hielt inne, Tristan war sprachlos, weil er sofort wusste, wo er sich befand, es war der geheime Gang seiner Liebe - »hütet Euch vor einem Knappen, der Kilian heißt. Marke hat ihn Euch zugeteilt, und Kilian wird Euch fragen, wo Ihr die letzten Tage gewesen seid. Der Herr, der mich beauftragt hat, Euch zu helfen, erinnert Euch durch mich an die bibliotheca. Dort gebe es neue Bücher, auch eines von einem gewissen Walther. Lebt wohl! Wir kennen einander nicht und werden uns deshalb auch nicht wiedererkennen können.«
Tristan stieg die Leiter hinab, die Tür über ihm wurde geschlossen, und er befand sich in dem unterirdischen Gang, den er einst für sich und Isolde entdeckt hatte. Wie angekündigt brannten in Nischen kleine Lämpchen, deren Dochte er ausdrückte, als er sie passierte. Beim vorletzten angekommen, stieg er eine Leiter hinauf, stieß das Bodenbrett nach oben und stand in einem Nebenraum des Großen Saals. Dort wurden die Tische und Bänke untergestellt, die man sonst nur bei Versammlungen der Barone brauchte. Das letzte Lämpchen hatte Tristan an sich genommen, so wie er es off getan hatte, wenn er den Gang benutzte. Es kam ihm alles vertraut und zugleich fremd vor.
Den Hinweisen Erics folgend, machte er sich auf den Weg in das Scriptorium. Er fand es leer, auf seinem Pult aber stand eine brennende Kerze. Eine Bibel war inmitten der salomonischen Sprüche aufgeschlagen. Auf der rechten Seite lag ein loses Blatt. Tristan erkannte Courvenals Handschrift.
Eine Zeit lang, hieß es dort, war ich deine Sonne. Nun bin ich in meinen eigenen Schatten zurückgetreten. Dich bescheint etwas anderes. Schönere Strahlen werden dich nie erfreuen. T&I bescheinen sich
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