Tristan
watete fast bis zu den Hüften durch das Wasser an den sicheren Strand. Isolde weigerte sich, auf diese Weise - durchs Meer - an Land zu gehen.
Marke war ratlos. Er bot sich an, sie zu tragen.
»Was erlaubst du dir!«, fuhr ihn Isolde vom Boot aus an. »In die Hölle willst du mich stoßen, mich aber bis zum Rand ihres Abgrunds auf deinen Händen tragen?«
Marke senkte beschämt den Kopf. Seine Frau hatte ja recht. Was hatte er hier zu schaffen, was verlangte er von ihr? War er es, der Forderungen stellte? Oder war es nicht vielmehr der Bischof von Londres, der im Ratssaal der Festung wartete, wohin Marke Isolde bringen sollte. Der Klerus bestimmte seine Handlungen, und er musste gehorchen. Wie gern hätte er alles rückgängig gemacht. »Was soll ich denn tun?«, rief er Isolde zu.
»Der da«, rief seine Frau zurück und deutete auf einen Pilger, der zwischen den Gaffern am Ufer stand, »dieser gottesfürchtige Mann, der nichts hat als seinen Stab und seine Kutte, der soll mich auf seinen Armen an Land bringen, wenn er es denn, dürr wie er zu sein scheint, überhaupt vermag.«
Marke war mit dieser Lösung sofort einverstanden. »Los, schafft ihn herbei«, rief er seinen Soldaten zu, »beeilt euch, der bishop wartet!«
Die Soldaten gingen auf den Pilger zu und stießen ihn vorwärts über den steinigen Strand. Er watete mit kurzen Schritten dem Boot entgegen, bis ihm das Wasser über die Hüfte reichte. Am Bootsrand suchte er einen sicheren Stand und ließ sich Isolde herabreichen auf seine ausgebreiteten Arme. Als er sich dem Ufer zuwendete, küsste sie ihn schnell und verstohlen, flüsterte ihm schönste Worte zu und sagte wispernd: »Denk daran: Wenn ich dir befehle zu stolpern, fällst du hin und nimmst mich dabei fest in deine Arme. Sind wir auf trockenem Land, lässt du mich sofort frei. Ist das klar, du tollpatschiger, wunderbarer Pilger, den ich über alles liebe?«
Wie sie es angeordnet hatte, geschah es. Der Pilger, der niemand anderer als Tristan war, strauchelte, kaum dass sie an Land waren, und rettete Isolde vor dem Sturz, indem er sie fest in seine Arme schloss und sich mit einer halben Drehung auf den Rücken fallen ließ. Gleich waren Wachsoldaten bei ihnen, trennten die beiden und führten Isolde zu einem Pferd, das sie in die Festung von Caerleon brachte.
Im Saal waren schon alle Beteiligten versammelt. Auf der Tribüne saßen die kirchlichen Würdenträger in vollem Ornat und warteten auf die Sünderin. Die ersten Stuhlreihen füllten sich, als Letzter betrat Marke den Raum. Unterhalb der Pulte der Vorsitzenden befand sich eine runde Eisenschale auf einem Gestell, gefüllt mit glühenden Kohlen, daneben stand ein Schmied mit einem ledernen Balg, um damit unablässig Luft in die Glut zu blasen. Aus ihr heraus ragte ein Schwert. Benedictus, der unter den Anwesenden in dritter Reihe saß, wurde es heiß unter seiner Kutte. Er starrte auf die Schale, aus der die Flammen weißzüngelnd hervorstießen, dann besah er sich seine Glaubensbrüder, die in ihren purpurnen und violetten Talaren wie ferne Götter dahockten.
Isolde wurde in den Saal mehr hineingestoßen als -geführt. Sie war ganz in Weiß gekleidet und geschminkt, so war es von ihr gewünscht worden. Genifer hatte ihr die Farbe der Unschuld mit Paste und Puder aufgetragen, von der Stirn bis zu den Füßen. Sie glich einem Geist, wie ihn sich Kinder vorstellten. Durch die Reihen der Zuschauer ging ein Raunen.
Es war darum gegangen, ihre Hände zu tarnen. Niemand sollte erkennen, dass sie Handschuhe trug, die lediglich die Innenflächen ihrer Hände bedeckten. Da nun aber die ganze Person so aussah, als wäre sie gleichsam in einen Bottich mit Mehl getaucht worden, waren auch die Kirchenfürsten aufs Höchste erstaunt. Dem Protokoll gemäß fragten sie nach dem Eidesschwur, den sie zu tun gedenke.
»Ich schwöre«, sagte Isolde, und dabei sah man zwischen den weißen Lippen ihre gelblichen Zähne, »niemals in den Armen eines anderen als in denen meines Gemahls, König Marke, gelegen zu haben. - Nur heute«, setzte sie mit einem Seufzer hinzu, »musste ich einen bettelarmen Pilger bitten, mir aus dem Boot zu helfen, weil mein Mann sich dafür nicht hergeben wollte. Vielleicht hilft er lieber anderen Menschen. Was weiß ich. Aber ja: Ich lag in den Armen des Pilgers, weil er mich aus Schwäche heraus nicht festhalten konnte. - Ist er hier?« Sie schaute sich um. »Wahrscheinlich nicht. Eure Eminenzen, oder wie Ihr Euch nennen lasst,
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