Tristan
rief Tristan ihm zu. »Und jetzt, da ich dich besser sehen kann, bietest du auch noch einen widerwärtigen Anblick. Weißt du, wie man Leute wie dich in der Alten Welt nennt? Wie solltest du. Du trägst den Dreck auf deinen Schultern, in dem du dich jeden Tag suhlst. Ein Nichts nennt man dich. Das wirst du ja wohl verstehen.«
Urgân reagierte nicht einmal auf diese Beleidigungen, es schien, als wäre er taub. Den größten Teil der Schafe hatte er schon über die Brücke getrieben und schlug nur noch auf ein paar Nachzügler ein. Schließlich erreichte er selbst den Holzsteg, stapfte bis zu dessen Mitte, gab seinem Pferd einen Klaps, dass es wiehernd hinübertrabte, blieb stehen, wandte sich um und sah Tristan an. »Komm nur, komm!«, schrie Urgân. »Sag mir aber erst deinen Namen, damit ich nachher weiß, wen ich aufgespießt habe.«
»Mein Name ist Tristan.«
Plötzlich entstand Stille. Es schien, dass sogar die Schafe mit ihrem Blöken aufgehört hatten.
»Tristan?«, wiederholte Urgân. »Bist du der, der Morolt hinterrücks getötet hat?«
»Nicht hinterrücks.«
»Der einen Drachen erstach?«
»Es war ein Bär.«
»Die Königin von Cornwall durch eine List nach Britannien brachte?«
»Was weißt du schon von Königinnen. - Aber bist du derjenige, der seinen Lehnsherrn bestiehlt? Bist du der?«
Tristan war nun nah an die Brücke herangeritten und konnte Urgân in seiner ganzen Erscheinung sehen. Er wirkte noch größer als Morolt. Tristan wusste, dass er diesen Mann niemals im Zweikampf würde besiegen können. Noch immer verharrte Urgân unangreifbar auf der Mitte der Brücke.
»Was ist?«, rief Tristan deshalb. »Du bist doch nun schon halb auf deinem Land. Willst du deinen Schafen nicht ein Anführer sein?«
»Jetzt dürft Ihr ihn nicht mehr angreifen«, hörte Tristan plötzlich Kilian neben sich.
»Was machst du hier?« Tristan fuhr herum. »Habe ich nicht gesagt, du sollst auf dem Hügel bleiben?«
»Herr,ich …«
Mehr konnte Kilian nicht sagen. Urgâns Speer schoss an Tristans Kopf, auf den er gezielt war, vorbei und traf den Knappen mitten in die Brust. Kilian glitt vom Pferd herab. Urgân lachte. »Keka!«, schrie er in seiner Sprache, was so viel hieß wie: Daneben!
Da trat Tristan seinem Pferd in die Seiten, ritt im Galopp auf die Brücke zu und schleuderte den Speer. Er traf den riesigen Menschen an der rechten Schulter. Die Wucht des Speers musste so stark gewesen sein, dass der Lehnsmann den Halt verlor, sich am Geländer der Brücke festhalten wollte, das aber unter der Wucht seines massigen Körpers zerbrach. Urgân warf die Arme in die Höhe, als könne er sich an etwas über ihm festhalten, und stürzte in die Tiefe. Das Rauschen des Wassers wurde von einem dumpfen Schlag unterbrochen, dann waren wieder die gleichmäßigen Strudel zu hören und aus der Ferne das Blöken der Schafe. Urgâns Knechte, die am Ufer auf ihren Herrn gewartet hatten, sahen ihn leblos auf den Felsen am Flussbett liegen und liefen schreiend davon, als hätten sie Angst vor einem bösen Geist, der sie von nun an verfolgen würde.
Tristan wusste, das Urgân den tiefen Sturz nicht überlebt haben konnte. Ohne nach seinem Gegner zu sehen, wendete er sein Pferd, ritt zu Kilian, stieg eilends ab und beugte sich über den tödlich getroffenen Knappen. Als er Tristans Stimme hörte, schlug er die Augen auf. »Herr«, sagte er und rang nach Atem, »ich muss Euch etwas sagen. Ich kannte schon Euren Vater Riwalin. Ihr ähnelt ihm an Gestalt und Tapferkeit. Aber er hat nur für sich gelebt und alle anderen für seine Vorteile benutzt. Mehr als die Hälfte meines Lebens habe ich durch seine Schuld im Verborgenen bleiben müssen, als Hirte und Schafscherer. Bis ich zurückfand zu Markes Hof. Ich hatte von Euch gehört und wollte mich an Euch an Eures Vaters Stelle rächen.«
Aus Kilians Mund sickerte Blut. Eine Weile lang konnte er nicht sprechen, während Tristan versuchte, das Wams des Knappen zu öffnen. Dann fuhr Kilian fort: »Gebt Euch keine Mühe. Ich weiß, es ist vorbei. Das ist gut für Euch. Denn ich habe Isolde und Euch zusammen gesehen. Ich war es, der König Marke zum Ort Eures Treuebruchs geführt hat. Die Ulme. Erinnert Ihr Euch?« Seine Stimme wurde immer schwächer, Tristan beugte sich zu ihm hinab. »Die Ulme«, flüsterte Kilian. »Man hat Euch gesehen, Euch und Isolde, wie ihr Euch selbst betrogen habt.« Der Knappe atmete immer schwerer.
»Was meinst du damit: Wir hätten uns selbst
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