Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
Vom Netzwerk:
Deshalb komme ich jetzt mit leeren Händen zurück nach Haus und werde es meiner Mutter erklären müssen.«
    Yella schäumte innerlich vor Wut, dass er sich die Lügen dieses Knaben anhören und sie schweigend erdulden musste, weil er ja selbst gelogen hatte. »Verzeiht, mein Herr«, sagte er übertrieben unterwürfig und bat Tristan darum, ihm am nächsten seiner Jagdtage doch bitte Bescheid zu geben, in welcher Gegend er gedächte, mit Pfeil und Bogen und Speer unterwegs zu sein. »Ach - übrigens«, setzte er hinzu, »wo ist denn Euer Speer geblieben? Habt Ihr ihn in den Teich geworfen?«
    Tristan hatte seinen Speer bei Ortie vergessen. Doch das hatte er erst bemerkt, als er schon den halben Heimweg hinter sich hatte. Er ärgerte sich selbst darüber. Dass Yella ihn verfolgte, wusste er ja, dass er ihn aber so genau beobachtete, verunsicherte ihn. Nur das Netz der Lügen war ein Schutz. »Ja, ja«, rief er und stieg die restlichen Treppenstufen hinauf, »der Speer ist im Teich gelandet. Vielleicht bitte ich meine Mutter, dass du ihn mir dort vom Grund wieder heraufholen kannst. Es heißt ja, dass du im Wasser schwimmen kannst wie ein Fisch.« Mit diesen Worten verschwand Tristan hinter der schweren Tür.
    Das war zu viel für Yella. Er schaute sich blitzschnell um, dann warf er den Dolch. Zitternd steckte das dünn geschmiedete Eisen im Holz der Tür. Voller Wut rannte Yella die Stufen zum Eingang hinauf, zerrte den Dolch heraus und stieß hervor: »Dich werde ich kriegen!« Danach ging er mit eiligen Schritten zu seinem Quartier im Haus der Wachleute.
     
    Der Schacht ~73~ Ausgedachte Lüge
     
    Yella hatte Bertulis, einen Wachhabenden, gebeten, ihn noch vor dem Morgengrauen zu wecken. Er wusste, dass der Junge schlau war und sich nicht an gewohnte Zeiten hielt. Außerdem wollte er versuchen, den Burgausstieg und dessen Öffnungsmechanismus vor Tristan zu finden. Dabei musste er auf den Wachwechsel achten, damit er nicht entdeckt wurde. Bertulis hatte er erzählt, die Schafe seines Bruders auf eine andere Weide treiben zu müssen. Dumme Leute, dachte Yella, hören am besten zu, wenn man sie kräftig belügt.
    Noch vor der Dämmerung schlich er sich zu der Stelle, an der er Linnehard beobachtet hatte, wie er den Boden untersucht und in ein Loch hineingefasst hatte. Linnehard war zuvor zur Mauer gegangen und hatte dort irgendetwas bewegt, was Yella, da er im Gras lag, nicht sehen konnte. Nun versuchte er, es dem Hauptmann gleichzutun, klopfte gegen die Steine, aber nichts rührte sich. Sobald er die Wachen hörte, verbarg er sich im Gras bei dem Busch. Dann begann es, hell zu werden. Wenn jetzt Tristan kommt, dachte Yella, bin ich entdeckt. Da der Burgmauerweg bei den Ställen endete, machten die Soldaten kehrt. Yella suchte weiter die Mauer ab - ohne Erfolg. Wütend hieb er mit der Faust gegen sie und vernahm ein schabendes Geräusch. Vor seinen Füßen senkte sich eine Falltür ab. Sofort begriff er, dass er den geheimen Ausstieg aus der Burg gefunden hatte.
    Den Fluchtweg des Königs zu kennen überraschte ihn maßlos, das war wie der Schlüssel zu einem zweiten Leben. Jede Gefahr war nur noch eine halbe Gefahr. Jeder Dieb konnte auf diesem Weg unentdeckt entkommen, jeder Mörder wäre ein freier Mensch. Yella konnte es nicht fassen. Die Möglichkeiten, die dieser Schacht für ihn eröffnete, waren so mannigfaltig, dass sein eigentlicher Auftrag dahinter wie etwas völlig Unwichtiges zurücktrat. Tristan wurde zu einer Nebensache, in der Vorstellung von Yella nahm seine Gestalt das Aussehen eines immer dünner werdenden Knaben an, der schließlich nur noch so unscheinbar war wie der Faden an einer vom Wind ausgefransten Fahne. Er, Yella, hingegen könnte durch den geheimen Zugang einen blühenden Handel eröffnen, konnte Waren an den Wachen vorbei in die Burg schaffen, deren Verkauf ihn reich machen würde. Es gäbe keine Frage mehr nach der Steuer, nach der Herkunft, nach dem Zweck - alles wäre plötzlich da, wie aus dem Boden gestampft, im wahrsten Sinne des Wortes!
    Yella war begeistert. Er saß hinter einem Busch, malte sich seinen Aufstieg zum Kaufmann aus und umgab sich in seiner Vorstellung mit Frauen, die in Zelten wohnten, zu denen er jederzeit Zutritt hatte. In der Mitte der Zelte, so träumte er vor sich hin, würden Feuerstellen sein, an denen er seine Füße wärmen könnte, während er mit dem Rücken auf gepolsterten Kissen läge, und zu ihm herab beugten sich liebliche Gestalten, deren

Weitere Kostenlose Bücher