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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Gewänder sich bis zur Schulter öffneten. Diese Vorstellung raubte ihm fast die Sinne. Wenn er Honig auf die Zunge tat und darüber Bier in ganz kleinen Schlucken fließen ließ, hatte er auch dieses Gefühl: zu wissen, wo seine Seele war und wie warm sie sich anfühlte.
    Yella lag im Gras und träumte, bis er Schritte hörte. Er drehte sich auf den Bauch. Es waren kurze Schritte, hastig, schnell.
    Er erkannte Tristan an seiner Kleidung. Der Junge hatte wie so oft dunkelgrüne Beinkleider an, die ihm bis zum Knie reichten. Darüber trug er einen aschfarbenen Rock, den er um den Bauch herum mit einem Band zusammenhielt. In der einen Hand hielt er einen Speer, in der anderen ein Bündel, das schwer zu wiegen schien.
    Tristan schlich an die Mauer heran, lauschte in die Morgendämmerung, drückte mit der Speerspitze gegen den Stein, den Yella aus Zufall getroffen hatte, und schon tat sich das Loch im Boden auf. Er verschwand darin, und die mit Gras bewachsene Platte schob sich wieder über die Öffnung. Für Augenblicke war das Rattern von Zahnrädern zu hören, ein Schaben und Scheuern, nicht unähnlich den Geräuschen, wenn man über eine Winde einen Bottich voll Wasser aus dem Brunnen holte.
    Da erst verließ Yella sein Versteck. Sein Plan stand fest: Tristan verfolgen, ihn beobachten, der Marschallin davon berichten und auf die Frage, wie die Verfolgung möglich gewesen war, kein Wort über den geheimen Ausstieg aus der Burg. Stattdessen: »Die ganze Nacht habe ich draußen vor der Burg hinter Steinen gelegen und gewartet, trotz der Kälte. Dann sah ich Tristan, der von irgendwoher kam, und folgte ihm, so schwer es mir auch fiel. Denn ich hatte nichts gegessen, und meine Kleidung war durchnässt, weil es zu regnen begonnen hatte. In Unkenntnis des Weges eilte ich ihm durch Dornengestrüpp nach, weshalb mein ledernes Wams, seht nur Herrin, zerrissen ist, mein einziges ledernes Wams …« - so würde er Floräte vorjammern und sie dazu bringen, ihm genug Münzen zu geben, um sich am Hafen neue Kleidung zu besorgen. Yella hüpfte das Herz, als er sich seinen Gewinn ausrechnete, vier Monde lang sorgenfrei, mindestens, und dann kämen die Geschäfte durch den geheimen Schacht!
    Yella klopfte gegen den Stein, und die Bodenplatte schob sich zurück. Er musste sich beeilen, denn Tristan war ihm ein gutes Stück voraus.
     
    Sich festhalten ~74~ Schmerzen
     
    Als Yella in den Schacht kletterte, wurde es mit jedem Tritt nach unten immer l dunkler. Siedend heiß fiel ihm ein, dass er nicht vorgesorgt hatte: Ein oder zwei Öllämpchen hätte er gebraucht. Er legte den Kopf in den Nacken und sah oben in der Öffnung das Tageslicht, unter ihm war nur Schwärze. Er fühlte eine flache Stelle, die seine Füße erreicht hatten. Sie war wie ein Balken, auf dem er jetzt stand. Links und rechts von sich sah er Hebel, aber er wagte nicht, sie anzufassen. Neben seiner Schulter streckte sich ein Seil. Mit einer Hand umklammerte er es, hielt sich daran fest und hörte wieder das Scharren und Schaben: Über ihm schloss sich die Öffnung des Schachts.
    Nun war es stockdunkel um ihn herum. Trotzdem atmete Yella auf, denn zumindest war der Ausstieg verschlossen, auch wenn er nicht wusste, was er als Nächstes tun sollte. Er musste nach unten, das war ihm klar. Und weil das Seil ihn an den Strang erinnerte, mit dem man eine Glocke läutete, musste das der Ausweg sein. Also umklammerte er dieses Seil auch mit der anderen Hand, hielt sich fest, suchte erst mit dem einen Fuß, dann mit dem anderen Halt an dem Seil und begann, gezogen von der eigenen Schwere, daran hinunterzugleiten. Da er nichts von der Tiefe wusste, die unter ihm war, rutschte er anfangs ohne Gedanken durch die Dunkelheit, erwartete jeden Augenblick das Auftreffen auf festem Boden. Doch der kam nicht. Er rutschte immer weiter, und die Hände und Füße, um die das dünne Leder der Schuhe aufriss, begannen, heiß zu werden und immer heißer, als würden sie brennen. Er spürte, wie das raue Seil ihm die Haut von den Händen und von den Fußsohlen riss, und wollte diesen Sturz in die Hölle aufhalten, indem er noch seinen Körper, den Hals und das Gesicht an das Seil presste. Doch alles schabte nur weiter an seiner Haut, und so begann er zu schreien und hörte seine Stimme wie von weiter Höhe auf sich herunterfallen - bis schließlich ein dumpfer Stoß gegen seinen Körper seinen Fall jäh aufhielt, er auf festem Grund aufschlug, das Seil losließ und auf dem Boden liegen blieb.

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