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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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Hand, den sie auf den Heranstürmenden hätte schleudern können, stand wie angewurzelt da. Als Tristan in vollem Lauf bei ihr ankam, sie umarmte und dabei umwarf, sodass sie beide in den Sand fielen, kam aus ihm ein glückliches Lachen hervor und aus ihr ein Schrei des Entsetzens. Denn Tristan küsste sie auf den Hals, wie Floräte es manchmal bei ihm getan hatte und wovon er annahm, dass man so etwas eben tut, wenn man sich freut. Er schrak zurück, weil Ortie nicht aufhörte zu schreien, beruhigte sie mit Worten und streichelte ihre Schulter. Das Mädchen hatte noch kein einziges Wort gesprochen. Es blickte sich um, wie um zu schauen, ob noch jemand in der Bucht wäre, murmelte ein paar unverständliche Worte, stand auf und ergriff den Speer, der neben ihr im Sand lag.
    Eine Weile schien Ortie dem Rauschen des Meeres zu lauschen, das nicht weit von ihnen seine Wellen an Land warf. Dann schleuderte sie den Stab in die Sonnenscheibe aus Stroh und traf ziemlich genau in deren Mitte. Wie erlöst begann sie zu lachen. Sie klatschte in die Hände, ging ein paar Schritte zurück und machte so Tristan Platz für einen Wurf. Er sah nun, dass Ortie Federn an das Ende der Speere gebunden hatte, hielt sich aber nicht damit auf, sie zu bewundern, sondern führte den Wurf aus, traf die Strohscheibe am Rand, doch der Speer blieb stecken. Wieder klatschte Ortie in die Hände, rannte auf Tristan zu, umarmte nun ihn und küsste ihn auf den Hals, wie es ihre Mutter bei ihr getan hatte. Tristan spürte die warmen Lippen auf seiner Haut und wäre gern dort gewesen, wo er hätte sein wollen: zusammen mit Ortie auf der Burg.
     
    Der Fluchtweg ~ 71 ~ Yellas Sieg
     
    Während Tristan, so oft er konnte, Ortie in der Bucht besuchte, ihr Essen und Wasser brachte und nach und nach auch Kleider, die er den Wäscherinnen entwendete, suchte Yella weiter nach dem Schlupfloch, durch das ihm Tristan jedes Mal entwischen konnte. In allen Wehrbefestigungen und Burgen, auch in Klosteranlagen und einzelnen gräflichen Anwesen gab es unterirdische Gänge, Gräben oder geheime Türen, durch die sich die Herren einen Weg nach draußen frei hielten, wenn Gefahr bestand. Er fragte deswegen bei Floräte nach, die aber nur mit den Achseln zuckte und ihn an Hauptmann Linnehard verwies, der von einem solchen Fluchtweg hätte Kenntnis haben können.
    Yella war enttäuscht, denn er wusste, dass Linnehard ihn nicht besonders mochte, und als der Wachhauptmann von Conoêl von Floräte gefragt wurde, ob Yella schon wegen einer Auskunft bei ihm vorstellig geworden wäre, hatte Linnehard nur bitter aufgelacht und gesagt: »Dieser Hund, der mehr bettelt als jagt und mehr winselt als bellt, der sich ebenso mit jungen Männern trifft, wie er auch schon zwei Mägden einen Bastard gemacht haben soll, der soll sich hüten, sich bei mir zu melden!«
    »Linnehard«, sagte Floräte energisch, »hier geht es nicht darum, was du von dem jungen Mann hältst, hier geht es um meinen Sohn Tristan, der mir so teuer ist wie mein eigener Augapfel. Tristan ist an manchen Tagen wie vom Erdboden verschluckt, und keiner weiß, wo er ist. Immer mehr scheint es so, dass er von dem geheimen Ausgang aus der Burg weiß, den sonst nur Rual und ich kennen - und du. Wenn dem so ist, könnte Yella ihn bewachen. Ich verlange von dir, dass du ihm dabei hilfst. Was interessieren mich die Bastarde dieses Waldläufers, wenn es vielleicht darum geht, dass mein Sohn in Gefahr ist.«
    Florätes Rede war voller Leidenschaft und Sorge, die Linnehards Herz bewegte, doch er hatte vor Gott und Riwalin, der für ihn immer noch der wahre König von Parmenien war, geschworen, den einzigen Fluchtweg aus der Burg niemals preiszugeben. Nach dem Tode Riwalins hatte er Rual als dessen Nachfolger den Gang und den Aufzug in der Mauer gezeigt, und nur Rual, sein Herr, hätte nun entscheiden können, einen unzuverlässigen Knecht einzuweihen. Linnehard selbst würde dies nie tun. Selbst wenn er von einem verborgenen Austritt wüsste, teilte er seiner Herrin mit, würde er ihn nicht preisgeben ohne die Erlaubnis Ruals.
    Floräte war verärgert, aber sie zeigte es nicht. Stattdessen ließ sie Yella erneut zu sich kommen und sagte ihm deutlich, dass der Hauptmann ihm nicht helfen würde, selbst wenn er es könnte. Er müsse allein weitersuchen und den Weg finden, auf dem Tristan ihnen entwischen konnte.
    Yella blickte erst auf die zum Teil gesplitterten Fliesen des Fußbodens, dann an die Balkendecke des Gemachs seiner

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