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Tristan

Tristan

Titel: Tristan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Grzimek
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vor sich? Sie ließ Yella kommen und trug ihm auf herauszufinden, was es mit diesem Spiel auf sich habe.
    Doch Yella wusste schon Bescheid. Er hatte mit den Wäscherinnen gesprochen, die sich darüber beklagten, dass ihnen Kleider von den Kindern gebracht wurden, die nach ranzigem Fett, nach Urin und Kot rochen.
    »Warum berichtest du mir erst jetzt davon?«, fuhr die Frau des Marschalls Yella an, senkte aber ihre Stimme, denn sie brauchte den Waldläufer noch. »Bleib Tristan auf den Fersen!«, befahl sie ihm.
    Yella erhielt ein paar Münzen, verbeugte sich und ging zu Merla, um sie zu fragen, wo Tristan wäre. Doch die Magd hatte ihn seit Anbruch des Tages nicht mehr gesehen. Yella rannte zum Schmied, fragte die Kinder, die bei der kleinen Kirche spielten - niemand wusste etwas von Tristan. Schließlich erkundigte er sich bei den Wachsoldaten, die auf dem Mauergang patrouillierten. Auch sie zuckten mit den Schultern. Nur einer von ihnen, der Inger hieß und behauptete, den Sohn des Marschalls einmal eine Zeit lang bewacht zu haben, sagte, er habe jemanden gesehen, der dem Jungen ähnlich sah.
    »Wo hast du den gesehen?«
    »Da unten, vor der Burg.« Inger zeigte bei einer Zinne über die Mauer auf das darunterliegende Land, an das bewaldete Hügel grenzten. Aber ob es wirklich der Herr Tristan gewesen war, könne er nicht beschwören. Da laufe öfter mal ein kleiner Junge herum, manchmal mit einem Speer in der Hand und Pfeil und Bogen auf dem Rücken. »Ich dachte immer«, sagte Inger, »das ist jemand von einem der Gehöfte, der vergeblich versucht, einen Hasen zu schießen. Einer von diesen armen Schluckern, die nichts zu beißen haben und schließlich zur Burg kommen, um wenigstens ein paar Ratten zu fangen.«
    Yella sagte nichts dazu. Er konnte sich nicht erklären, wie der Junge ungesehen hierher, an die Westseite der Burg gelangen sollte. Zumindest wusste er nun, wo er ihn zu suchen hatte. Und dann fragte er die Wachsoldaten, ob es einen geheimen Ausgang aus der Burg gebe.
     
    Die verlassene Bucht ~70~ Lachende Ortie
     
    An dem Tag, als Yella begann, ihm auf die Schliche zu kommen, war Tristan .zum ersten Mal wieder in der Bucht von Ortie. Noch in der Morgendämmerung hatte er sich, ohne etwas zu essen, davongemacht. Er hatte sie nicht mehr ausgehalten, diese quälende Ungewissheit, wie das Mädchen damit umgegangen sein mochte, dass es plötzlich ihre Mutter nicht mehr gab. Vielleicht war sie ihr ins Meer gefolgt und schwamm mit ihr im Wasser oder lag angespült am Strand, und die Krähen und Möwen zupften an ihrem Fleisch herum. Dieser Gedanke machte Tristan so taumelnd im Kopf, dass er alle Vorsichtsmaßnahmen vergaß und mit seinem Speer in der Hand geradewegs von der Mauer zum Wäldchen lief, ohne wie sonst immer die Deckung der Bäume und Büsche zu benutzen, um sich vor den Blicken der Soldaten auf der Wehrmauer zu schützen.
    Orties Bucht fand er verlassen. Die Höhle, in der die Mutter gelegen hatte, war leer. Auch auf der schmalen Sandbank der Bucht und auf dem Geröll vor den Felsen konnte er keine Spuren des Mädchens entdecken. Wahrscheinlich hatte die Flut sie weggeschwemmt, das Wasser, das alles frisst wie ein riesiger Fisch. So hatte Rual manchmal vom Meer gesprochen, wenn er den Kindern davon erzählt hatte.
    Tristan kletterte die Felsen wieder hinauf und lief nach Westen zu seiner eigenen Bucht. Auf dem oberhalb liegenden Plateau fühlte er sich zwischen den knorrigen Bäumen, die dort standen, gleich freier und geschützt. Trotzdem pirschte er sich an den Abhang heran, bis der Blick sich hinter den wilden Sträuchern erweiterte und Hegennis zu sehen war. Wie ein vom Himmel auf die Erde gesunkener Halbmond lag die Bucht vor seinen Füßen, und er erschrak und freute sich zugleich, als er Ortie dort unten entdeckte. Sie schien seine Speere und damit sein Versteck gefunden zu haben und sich mit Würfen auf das Sonnenrad aus Stroh, das er geflochten hatte, die Zeit zu vertreiben. Am hinteren Schaft der Speere sah er etwas Buntes flattern, das zuvor nicht daran befestigt gewesen war. Die Herkunft der sich im Flug drehenden Fähnchen konnte er sich nicht erklären, doch sie gefielen ihm. Vielleicht waren das auch nicht seine Speere, dachte er kurz.
    Er eilte hinunter zu seinem Strand, glitt und balancierte über die Felsen und Vorsprünge wie vorwärtsgetrieben, rannte über den Sand auf Ortie zu und rief dabei laut ihren Namen. Das Mädchen, noch immer in ihrem grauen Hemd, einen Speer in der

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