Tristan
um Tristan herum war Dunkelheit und über ihm das leise Trommeln der aufs Dach fallenden Regentropfen. Er versuchte, die Augen offen zu halten und die Tropfen zu zählen, als könnte er sie einzeln sehen. Das sollte ihn müde machen. Der Wind hatte nachgelassen, das beruhigte ihn am meisten.
Er drehte sich auf die Seite, zog die Beine an, legte Arme und Hände über Kreuz auf seine halb nackten Schultern, um sie zu wärmen, und wollte mit dem Wunsch einschlafen, morgen solle die Sonne wieder am Himmel stehen. Dabei stellte er sich vor, wie sie in ihrem Innersten aussah, worüber noch niemand etwas sagen konnte, denn wer es auch jemals versucht hatte, in sie hineinzublicken, war erblindet. Eine Feuerstelle musste dort sein wie in der Schmiede, und dahinter ein riesiger Schuppen voller Kohle. Die fiel wahrscheinlich wie von selbst in die Glut und entzündete sie jeden Tag von Neuem.
Was aber geschah in der Nacht, und warum leuchtete der Mond? War der Mond etwa ein Spiegel, solch eine blank geputzte silberne Scheibe, wie seine Mutter sie benutzte, wenn sie sich die Lippen färbte? Noch nie hatte sie ihm erlaubt, in ihren Spiegel zu schauen. Das ist nichts für dich, hatte sie ihm gesagt, das verdirbt dir nur die Augen. Bei diesem Gedanken verlangte es ihn nun sehnsüchtig nach Schlaf. Er gähnte tief und herzhaft und rollte sich noch fester in die Decken.
Der letzte Gesang ~91~ Das Verhör
Tags darauf hörte Tristan die Nachricht, Weinander der Sänger werde noch am Nachmittag die Burg verlassen, um weiterzuziehen zu den Franken. Zum Dank für die Freundschaft, die man ihm auf Conoêl entgegengebracht hatte, wolle er noch einmal singen. Tristan war dabei, als die Mägde an der Kochstelle sich am frühen Vormittag darüber unterhielten. Abfällig hörte er Meira, die Älteste von allen vieren, sagen, dieser nichtsnutzige Lautenzupfer wolle sich nur noch mal seinen Wanst vollschlagen, bevor er abhaue.
»Mein zahnloser Oheim kann besser singen als der«, sagte Meira und knetete mit ihren fleischigen Händen einen Teig, den Tristan besonders liebte, wenn er frisch und noch knusprig als Fladen vom heißen Stein genommen wurde. Um ein erstes Stück davon zu bekommen, blieb er bei den Frauen.
Am frühen Nachmittag kamen seine Eltern zusammen mit Courvenal, Weinand und einigen Burgvorstehern in die Kemenate. Alle setzten sich, Weinand nahm die Laute, die man ihm gegeben hatte, und begann zu singen. Tristan blieb in der Nähe der Kochstelle und roch sich halb satt an den Dämpfen, die aus dem großen Kessel aufstiegen. Es würde hegam geben, eine Suppe mit Muscheln. Keiner mochte sie, er aber liebte diese schwarzen Muscheln. Wenn sie gekocht wurden, öffneten sie sich, und man konnte eine Schale wie eine Zange benutzen, um damit das Fleisch aus den anderen Muscheln herauszuziehen. Tristan war davon überzeugt, dass der Schmied nur deswegen Zangen hatte, mit der er die Eisenstäbe festhielt, weil es diese Muscheln gab.
Seine Eltern und Courvenal klatschten in die Hände und unterbrachen Tristans genüssliche Vorstellungen. Er hatte gar nicht zugehört, wusste nicht, warum sie klatschten, sah nur, wie Courvenal aufstand, sich ein Stück von dem Fladenbrot abbrach, einen Teil davon Weinand reichte und dabei fragte: »Wie heißt nun die schöne irische Königstochter, von der du uns gerade gesungen hast, wirklich? Isôt, Isôte oder …«
»In Eurer Sprache«, unterbrach ihn Weinand und steckte sich ein Stück des Fladens in den Mund, »würde man sie wohl Isolde nennen.«
»Und warum singst du uns gerade von ihr?« - Courvenal setzte sich wieder. »Alle singen von ihr. Und ich tue es, weil ich hier gestrandet bin und Eurer Gastfreundschaft einen Dank schulde mit besonders schönen Liedern.«
»Doch als du hier gestrandet bist, da wusstest du nicht, wo du bist?«
»Wie hätte ich das ahnen sollen? Bei diesem Sturm?«
»Was aber ist mit dem Boot, was mit der Mannschaft? Sind alle untergegangen im Meer?«
»Das muss wohl so sein.«
»Und wer hat dir von Ortie erzählt und der toten Frau, die du gesehen hast?«
Da verschluckte sich Tristan an dem Löffel Suppe, den Meira ihm schon einmal vorab zum Kosten in einer kleinen Schüssel gereicht hatte.
»Ortie, welche Ortie?«, fragte Weinand. »Ich weiß nicht, von wem Ihr sprecht.«
Courvenal stand auf, und mit einem Mal war es ganz still in dem Raum. Man hörte, wie der Saum seiner Kutte über den Boden schleifte, als er mit langsamen Schritten auf Weinand zuging.
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