Tristan
verqualmt, als würden sie in dichtestem Herbstnebel liegen. Der Rauch biss in die Nase und im Rachen, das Luftholen war wie ein Röcheln.
Floräte lag schon seit ein paar Tagen auf ihrem Lager und stand nur auf, um sich zu waschen und zum Abort zu schleppen. Sie urinierte im Stehen, weil sie zu schwach war, sich hinzuhocken und wieder aufzurichten. Mit letzter Kraft spülte sie ihre Schenkel und Füße mit Wasser aus einem Eimer ab, wankte wieder zu ihrer Bettstatt und zog das feuchte Fell und die klammen Tücher über sich.
Manchmal kam Tristan und legte sich zu ihr. Dann wärmte sein schmaler Körper ihre Brust und ihren Bauch, und sie gab ihm Küsse in den verschwitzten Nacken. Denn auch Tristan war krank geworden. Er hatte Durchfall und verspürte Übelkeit, nahm nur noch Tee und heiße Suppe zu sich, die Merla oder Eloi aus Hühnerknochen kochte. Courvenal kümmerte sich weiter um ihn und erzählte ihm, was er über die Aufzucht von Falken wusste oder auch über die griechischen Philosophen, denen allen voran er Plato stellte, obwohl, wie er immer wieder ergänzte, auch Aristoteles gelesen werden müsse, der in der Welt der Gedanken eine neue Ordnung geschaffen habe. Hinzu kämen die Oden des Ovid, doch das sei jetzt noch zu früh.
Tristan hörte zu. Die Worte seines Lehrers sickerten in sein Ohr und gaben ihm Vertrauen und Hoffnung, dass nach einer schlechten immer wieder auch eine gute Zeit kam. Er versuchte, sich eine Welt der Gedanken vorzustellen, und entdeckte, während er mit der Hand darüberstrich, überm rechten Knie in seinem Beinkleid zwei Löcher. Er glaubte fast, dass die Worte seines Lehrers auch durch diese Löcher in ihn eindringen würden, in das Knie, das an einer Stelle eine verschorfte Wunde hatte. Kaum hatte sich Courvenal wenig später zurückgezogen, legte sich auch Tristan auf sein Lager, lutschte noch ein wenig an einer Brotkante und schlief bald ein.
Da die Tage wie Nächte schienen, weil die Sonne hinter dunklen Wolken verborgen war, schlief er oft bis in den späten Morgen, wachte fiebrig auf und schlich zu seiner Mutter ins Bett. An einem dieser Vormittage wurde unerwartet ein Troubadour angekündigt, der in der Burg »ob des teuflischen Wetters«, wie er am Tor gesagt haben sollte, um Zuflucht suchte. Er hieß Weinand und nannte sich mit Zunamen: der Wanderer.
Ein Troubadour ~89~ Fangarme
Weinand der Wanderer war nur zwei Köpfe größer als Tristan, gewiss aber dreimal so alt wie er, wohingegen sein Körper das Vierfache des schlanken Jungen wiegen mochte. Seine Haare waren rot und dicht, die Barthaare hingen ungleichmäßig lang von seinem Kinn wie ein ausgefranster Lappen und waren mindestens ebenso verfilzt. Mit seinen kleinen, von Fettwülsten umgebenen Augen blickte er so schnell hin und her und um sich herum, dass man sich nicht vorstellen konnte, dass sie sich irgendwann in ihre Höhlen zurückzogen und ausruhten. Wahrscheinlich taten sie das nicht einmal im Schlaf. Das Schlimmste aber war sein Mundwerk, es stand nie still, sprudelte unentwegt Wörter hervor wie eine Quelle Wasser, und während er sprach, bewegte Weinand andauernd seine Arme oder zappelte mit seinen Beinen. Er ähnelte einer von Florätes Handpuppen, die dauernd in Bewegung sein mussten, um zu beweisen, dass sie lebten. Kaum aber fing Weinand an zu sprechen, kam eine Stimme aus ihm heraus, die so wohlklingend war, dass man die Geschwätzigkeit vergaß und bemüht war, diesen Wohllauten, die niemand bei ihm vermutet hätte, zu lauschen. Wenn er dann noch zum Gezupfe auf einer Laute zu singen begann, waren alle Zuhörer hingerissen von der Melodik, den Dehnungen sich im Singen verändernder Vokale und den temperamentvollen Schilderungen von Hirschjagden oder Kämpfen, zu denen seine Worte wie Bälle endlos lange Treppen Stufe für Stufe hinunterzurollen schienen. Keiner der Zuhörer hatte je solchen Wechsel von Verharren und Davoneilen im Klang der Silben in einem Vortrag vernommen. Der andauernde Regen, das elendige Eingeschlossensein in den Räumen der Burg und sogar das Kranksein schienen darüber vergessen. Tristan lauschte Weinand voller Bewunderung und konnte sich kaum mehr vorstellen, ohne Weinand zu sein, dieser dicken Kugel mit Kopf, Händen und Füßen und einer Stimme, die zur Verzauberung geschaffen worden war.
Courvenal hingegen konnte diesen Kobold, wie er Weinand nannte, von Anfang an nicht leiden. Er spürte, dass da »etwas faul« war, wie er später sagte. Schon die
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