Tristan
schien plötzlich vorüber. Meine Arme und Hände waren wieder frei, die Wellen schlugen über mir zusammen, ich musste mit den Armen rudern, um mich über das Wasser zu heben, ich hustete Salz aus meiner Kehle, hielt weiter auf die Leuchtfeuer zu, die zu glühenden Augen wurden, schrie um Hilfe, und als ich schon ganz nahe der Küste war, sah ich den Bug eines mit Ruderern besetzten Kahns. Da wusste ich, dass ich gerettet war. Wie ein warmer Schauer durchlief dieser Gedanke meinen Körper. Ich hörte Stimmen, die mir unverständliche Worte zuriefen, spürte, wie Hände an meinen Armen rissen und mich ins Boot hieven wollten. Mit der Rettung, mit der Gewissheit zu leben, verloren sich meine Ängste, und ich verstand, was um mich geschah, und nun auch, was gesprochen wurde. >Holt ihn rein<, rief jemand. >Versuchen wir ja<, kam die Antwort zurück, ganz dicht an meinem Ohr, >aber er scheint irgendwie festgebunden!< - >Holt ihn rein!< Das war ein Befehl. Im selben Moment verspürte ich ein Reißen an meinen Armen, als wollte sie mir jemand ein für alle Mal entfernen. Ich schrie auf. >Er lebt, das ist sicher!< Um zu sehen, wer das gerufen hatte, warf ich den Kopf in den Nacken und wurde zugleich an den Beinen nach unten gezogen. Es gelang mir noch, den Atem anzuhalten, ein Brausen war in meinen Ohren, und ich spürte, wie sich etwas um meine Brust legte, Pflanzen, Tentakel, Finger, Arme. Und plötzlich war ein Mund an meinem Ohr und hauchte ein Wort hinein, einen Namen, den Namen einer Frau, eines Mädchens.«
»Welchen Namen?«, wollte Rual beg lerig wissen.
»Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass ich, sobald ich diesen Namen gehört hatte, von den Schlingarmen des Meeres losgelassen und in das Boot gezogen wurde.«
Weinand wirkte nach diesem Bericht erschöpft, als hätte er alles aufs Neue erlebt. Die Zuhörer saßen stumm da und waren erfüllt von Entsetzen. Courvenal hatte längst wieder seinen Ärmel von Tristans Kopf zurückgezogen und fragte mit ruhiger Stimme: »Hieß dieser Name Ortie?« Überrascht sah Tristan von der Seite her zu ihm auf.
»Ortie?«, schien Weinand sich selbst zu fragen. »Ortie?«, wiederholte er nochmals für sich. »Das könnte es gewesen sein. Ein O und I und ein T waren dabei, Itoie, Ortie oder auch Iriöte oder Isôte. Doch - ich weiß es nicht.« Er schloss die Augen. »Ich bin jetzt sehr müde. Isote, vielleicht sogar Isôt, wie die Königstochter von Irland heißt. Kaum älter als der Junge da ist sie« - er zeigte auf Tristan -, »doch jetzt lasst mich gehen. Morgen berichte ich Euch mehr.«
Obwohl er kaum einmal an seinem Becher genippt hatte, erhob sich Weinand wie ein Trunkener.
Zweifel ~90~ Hoffnung
Mit Weinand gingen auch die anderen. Tristan schlich zu seinem Lager und wickelte sich fröstelnd in die klammen Decken ein. Nur Rual und Courvenal blieben zurück. Sie sprachen leise miteinander, aber Tristan lauschte angestrengt und verstand fast jedes einzelne Wort. »Was hältst du von unserem Gast?«, fragte Rual.
Da hob Tristan den Kopf. Es war das erste Mal, dass er seinen Vater seinen Lehrer mit Du anreden hörte.
»Es wundert mich«, antwortete Courvenal ohne Zögern und senkte nochmals die Stimme, »dass er als Einziger der gesamten Schiffsbesatzung gerettet worden ist und man sonst keinen Toten und nicht einmal Teile eines Wracks an der Küste gefunden hat - das wundert mich.«
»Und dazu noch die Geschichte von der Toten im Meer.«
»Genauso wie Tristans Freundin sie erzählt hat, nämlich dass ihre Mutter dort draußen herumschwimmt und jeden und alles mit sich hinab auf den Grund ziehen will.«
»Ortie - er war nicht einmal erstaunt, als du den Namen nanntest!«
Je leiser sie flüsterten, umso besser schien Tristan sie zu verstehen! Courvenal schien wohl ganz nahe an Rual herangerückt zu sein, als er sagte: »Und fügte gleich den Namen der irischen Königstochter an! - Es würde mich nicht erstaunen, wenn er uns in den nächsten Tagen noch ein wenig mehr über diese junge Dame sänge.«
»Sänge?« Rual schien bei diesem Wort leise zu lachen.
»Ja: sänge«, beharrte Courvenal. »Ich glaube, man hat uns ein Vögelchen geschickt.«
Nach diesen Worten vernahm Tristan nur noch Geräusche, als würden Weinbecher ausgetrunken und sanft auf den Tisch zurückgestellt. Der Lichtschein der Öllampe, den er durch den Spalt seines Vorhangs wahrnahm, begann sich zu bewegen und zu wandern, Schritte waren zu hören, die Tür knarrte, das Licht erlosch,
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